Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/3
1938 I m November 1918 war aus der Mo- narchie als Reststaat die Republik Deutschösterreich entstanden, die mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und deren Lebensfähig- keit zunächst nicht gegeben schien. Dies gab dem Anschlußgedanken an Deutsch- land Auftrieb. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 spitzte sich die Situation drastisch zu. Die Krise traf die Stadt Steyr durch die Abhängig- keit vom Steyr-Werk mit seiner früher überdimensionierten Waffenproduktion besonders hart. Im Februar 1930 waren beinahe zwei Drittel der Beschäftigten im Bezirk Steyr ohne Arbeitsmöglichkeit. Ne- ben den Massenentlassungen im Steyr- Werk stellte damals auch die Gummifa- brik Reithoffer im nahen Garsten mit ihren rund 1000 Beschäftigten ihren Be- trieb ein. Die Region verwandelte sich in einen einzigen großen Wirtschaftsfriedhof. Die Massenarbeitslosigkeit sowie das ängstliche Zurückweichen führender So- zia ldemokraten vor den Versuchen kon- servativer Kräfte, die 1918 bis 1920 Gesetz gewordenen sozialen und demokratischen Widerstand und traten zur Verteidigung der Republik an. Sie hatten jedoch gegen das bestens ausgerüstete Bundesheer keine Chance. Ihre Aktionen blieben isoliert: Vom sozialdemokratischen Parteivorstand wurde zwar der erhoffte Generalstreik ausgerufen , dieser zeigte sich aber bereits außerstande, seine Durchführung zu orga- nisieren. Mit der Niederlage wurden auch die verbliebenen sozialdemokratischen Organisationen gewaltsam zerschlagen. Nach der Niederlage im Februar 1934 war Vom Krieg zum (Bürger-)Krieg Die Zeit 1918-1938 Errungenschaften einzuschränken, begün- stigten den Sozialabbau zunehmend. Ver- sammlungsverbote und d ie Zensur der Arbeiterzeitungen schwächten darüber hinaus den Bewegungsspielraum der Ar- beiterbewegung. Systematisch entwickelte seit September 1932 der christlichsoziale Kanzler Dollfuß ein Programm zur schritt- weisen Zerschlagung der parlamentari- schen Demokratie. 1933 wurden. das Par- lament aufgelöst, der .. Republikanische Schutzbund und die KPO verboten. Verteidigung der Demokratie Schließlich beseitigte die Regierung im Februar 1934 endgültig die Reste der parlamentarischen Demokratie. Die Ar- beiter, empört über eine provokative Waf- fensuche in Linz, leisteten bewaffneten die Arbeiterschaft zwar gebrochen, aber nicht besiegt. Teile der sozialdemokra ti- schen Parteimitglieder und führende Funktionäre hie lten einen illegalen Kampf für nicht zielführend und zogen sich aus der politischen Arbeit gänzlich zurück. Einige wechselten sogar in die NS-Forma- tionen: Der verständliche Haß auf die Dollfußregierung verstellte ihnen den Blick auf den gefährlicheren und brutale- ren Gegner. Die drohende Besetzung Die Regierung versuchte eine Verständi- gung mit den konsequentesten antinatio- nalsozialistischen Kräften - nämlich den in die Illegalität gedrängten klassenbe- wußten Arbeitern - zu spät und zu ha lb- herzig. So fand in Steyr im Oktober 1936 eine ergebnislose Besprechung zwischen dem früheren christlichsozialen Wiener 1945 J)em Kampf 11111 die Demokratie im Februar /934fiele11 :.e/111 Steyrer Sc/111t:.hündler und drei Mii1111er der Exekutfre :.um Opfer. Ka- 11011e11kuge/11 sch/11ge11 i11 Häuser ein (Bild oben). Ei11 Arbeiter ll'urde auf Grund erwie- senermll /Je11 fal.H"her Zeugenaussage un- schuldig gehii11gt. /111 ße11'11ßtsei11 1•ieler So:.ialdemokraten lu1tte tlie Partei im Februar /934 ihre Un- fähigkeit im direkten Kampfgegen den Fa- sc/1i.,·11111s hell'ie.,·e11 1111d sie .ffhlosse11 sich de11 Ko1111111111i.~te11 an. Ge111ei11sm11 mit den „Re- l'Ol11tio11iire11 So:.ialisten .. - den Nachfolgern der 1•erbote11e11 So:.ialdemokratischen Partei - rer.mchten sie de11 Widerstand gegen die autoritiire11 Ma/J,whmen des „Ständestaa- te.,·" und gegen de11 Nationalso:ialismus :u orga11isieren. JUL~ " . ..· - Arheitslosendemonstrationen entll'ickelten .,·ich :.u regelrechten H1111germärschen: In ,Jade11schei11ige11, :erschlissenen Kleidern und defekten Schuhen" :ogen die Menschen in den Wintermonaten durch die eisige11 Straßen. Vizebürgermeister und Funktionären der verbotenen marxistischen Parteien statt. Und bei einer Aussprache von Betriebs- vertrauensmännern mit Bundeskanzler Schuschnigg Anfang März 1938 wurde festgestellt: ,,Uns trennen die offenen Grä- ber des Februar 1934. Aber wir wohnen im selben Haus. Und dieses Haus brennt. Wenn wir den Brand - heute - gemeinsam löschen, werden wir uns morgen darüber unterhalten, wie es ei~gerichtet werden soll ... Wenn das Haus Osterreich zerstört ist. ist alles zu Ende." Die Dauerarbeit.flosigkeit 1•erursachte Hun- ger, Not und Elend. Von den damals ru11d 12.000 Stadthell'ohnern mußten mehr a/1· die Hälfte öffentliche Hilfe in Anspruch nehme11.
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