Amtsblatt der Stadt Steyr 1986/6
Steyr hat mustergültigen Katastrophenplan Ausführlich informierte Bürgermeister Heinrich Schwarz den Gemeinderat über die Schutzmaßnahmen für die Bevölke- rung im Katastrophenfall und erinnerte an die Ergebnisse der Erhebung der Strahlen- schutzwerte der Gebäude in Steyr. Bereits im Frühjahr 1982 wurde in Zu- sammenarbeit mit den Dienststellen des Magistrates Steyr die Erhebung zur Fest- stellung des Strahlenschutzwertes aller Gebäude in Steyr durchgeführt. Die Er- gebnisse dieser Erhebungen wurden auf Lochkarten eingetragen und die Berech- nung des Strahlenschutzwertes im Re- chenzentrum Wien durchgeführt. Dabei wurde folgendes Ergebnis ermittelt: 1840 Objekte (36,7 Prozent) erreichten den Schutzwert A; 1343 Objekte (26,8 Prozent) erreichten den Schutzwert B; 800 (16 Prozent) den Schutzwert C; 647 (12,8 Prozent) den Schutzwert D; 385 (7,7 Pro~ zent) konnten aus verschiedenen Gründen nicht erfaßt werden. Hiebei ist Kategorie A als optimal bzw. optimal adaptierbar angesehen, B als mit erheblichen Mitteln adaptierbar, Katego- rie C stellt den Behelfsschutz dar, während D als schutzlos anzusehen ist. Von diesem Ergebnis wurden die Hauseigentümer schriftlich in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurden entsprechende Vorschläge zu ei- ner eventuellen Adaptierung oder Vervoll- ständigung der Schutzräume beigefügt. In diesem Zusammenhang wird auf die wissenschaftliche Bearbeitung des Demon- strations- und Forschungsprojektes „Sam- melschutzräume im Raum Steyr" verwie- sen. Unter Leitung von Prof. Panzhauser wurde im Rahmen der umfassenden Lan- desverteidigung eine Erhebung von Sam- me lschutzräumen im Bereich der Stadt durchgeführt. Aufgrund der Struktur der Stadt Steyr besteht ein maximaler Schutz- bedarf von 76.000 Plätzen, wobei die Nachtbevölkerung zirka 43.000 und die Tagbevölkerung zirka 62.000 Personen be- trägt. Diese 76.000 Plätze wären daher niemals besetzt. Sie müssen aber an ver- schiedenen Orten vorhanden sein. Auf- grund der vorzitierten Strahle~schutzerhe- bung der Häuser und der Uberprüfung der bestehenden Stollenanlage ergibt sich ein Gesamtangebot von 109.000 Schutz- plätzen . Diese sind jedoch so gelagert, daß sie nicht für die Versorgung der gesamten Bevölkerung dienlich sind. Auf alle Fälle kann aus dem Bericht entnommen wer- den, daß die vorhandenen Schutzräume und Stollen einen erheblichen Teil der Bevölkerung entsprechenden Schutz ge- währen könnten, wobei bei dieser Studie von kritischen Fällen ausgegangen worden ist, d. h. in einem Zivilschutzfall würde das Aufsuchen von Wohnräumen genügen. Entsprechende Vereinbarungen bzw. Ab- sit'yr Bürgermeister Schwarz appelliert an Bundeskanzler und Landeshauptmann, den Bau der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf zu verhindern Bürgermeister Heinrich Schwarz hat schriftliche Noten an Bundeskanzler Si- nowatz und Landeshauptmann Ratzen- böck mit dem dringenden Ersuchen ge- richtet, alles zu unternehmen, damit die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wack ersdorf nicht errichtet wird. Im Schreiben von Bürgermeister Schwarz an Bundeskanzler und Landeshaupt- mann heißt es wörtlich: „Die Ka tastrophe von Tschernobyl ha t ein allgemeines Umdenken in der Frage der Nutzung der Kernenergie bewirkt. Da bei allen Entscheidungen di e gesundheitliche Unversehrtheit der Bevölkerung im Vordergrund stehen muß, ist die Entwi cklu ng und der Bau der umstrittenen Wiederaufberei tungs- anlage in Wackersdor f in Bayern mi t großer Besorgnis zu verfolgen . Da Oberösterreich das dem Standort nächstgelegene Bundesland in Öster- reich ist, hat sich mit diesem Problem auch schon die oö. Landesregierung befaßt und darauf hingewiesen, daß es sich im vorliegenden Fall um durch Staatsgrenzen nicht begrenzbare Pro- bleme handelt, sondern vielmehr Aus- sprachen mit den Einsatzorganisationen, wie Freiwillige Feuerwehr, Rotes Kreuz, aber auch Polizei und Bundesheer, ge- währleisten im Katastrophenfall einen entsprechenden Schutz der Bevölkerung. Der im Rahmen der Dienststelle des Magistrates Steyr erarbeitete Katastro- phenhilfsplan wurde durch die Landesregie- rung bereits genehmigt und sogar als Mu- sterplan für Oberösterreich vorgesehen. Bei der Koordination der Einsatzkräfte stehen für das Stadtgebiet Steyr Strahlen- meßgeräte aus dem Bereich der Bundes- polizeidirektion Steyr im iiusreichenden Maße zur Verfügung. Die Bundespolizei- direktion Steyr hat eine Diensteinteilung, bei der sichergestellt ist, daß immer ein vollständiger Strahlentrupp eingesetzt werden kann. Der Strahlenschutzbeauf- tragte der Bundespolizeidirektion wurde im gegebenen Falle ersucht, die entspre- chenden Messungen (über die Kontami- nation) der Erde durchzuführen. Im Rahmen des Dienstbetriebes des Magistrates war nach der relativ späten Verständigung durch die Landesregierung (die erste Meldung erfolgte am 1. Mai 1986 um 20.45 Uhr) ein verstärkter Bereit- schaftsdienst tätig. Die Agenden des Strahlenschutzes für den Bereich des Ma- gistrates Steyr werden durch OAR Gerge- lyfi wahrgenommen, der aufgrund seiner Ausbildung im Reaktorzentrum Seibers- dorf die entsprechenden Voraussetzungen dazu hat. wirkungen nicht auszuschließen sind, die weit über Länder und Staatsgren- zen hinausgehen. Ich möchte mich na- mens der Stadtverwaltung dieser Auf- fass ung vollinhaltlich anschließen und bitte Sie, sehr geehrter Herr Bundes- kanzler, a ll e Ihre persönlichen Mög- lichkeiten und jene der gesamten Bun- desregierung einzuse tzen, um die Er- richtung der Wi ederaufbereitungsanla- g_e in Wackersdorf zu verhindern. Uberhaupt sollten a ll e mit der Nut- zung der Kernenergie im Zusammen- hang stehenden Fragen interna ti ona li- siert werden, so daß die Erri chtung eines Atomkraftwerkes als völkerrecht- licher Tatbestand aufzufassen wäre. Nur wenn alle Staaten sich als Völker- rechtsfamilie verstehen und gemeinsa- men Verfa hrensbestimmungen unter- werfen, erscheint letztlich das Ziel, das die ei nzelnen Staaten vorgeben, näm- li ch das Wohl ergehen ihrer Bevölke- rung, realisierbar. kh hoffe a uf Ihr Verständnis, wenn ich aus gegebenem aktuellen Anlaß in meiner Verantwortlichkeit als Bürger- meister diese Bitte vorge tragen habe." Eine wichtige Tätigkeit des Zivilschutzes ist die Schulung von Mitgliedern, aber auch von allen anderen am Zivilschutz Interessierten. In diesem Zusammenhang wurde ein in Österreich einmaliger Weg gewählt. Im Rahmen der Kurse der Volkshochschule wurden nach Absprache mit den Kurslei- tern an einem Abend jeweils Fachreferate vorgetragen. Diese Aktion soll weiterhin verstärkt angeboten werden. Gleichzeitig soll entweder im Herbst 1986 oder im Frühjahr 1987 wiederum das „Sicherheits- paket", das ist eine Reihe von spezifischen Kursen unter Beteiligung des Zivilschutz- verbandes, der Freiwilligen Feuerwehr und des Roten Kreuzes sowie der Bundes- polizeidirektion, zur Durchführung gelan- gen. Besonderes Augenmerk wird auf die Schulung der Schüler der Austrittsklassen aller Schulen in Steyr gelegt (Selbstschutz- grundunterweisung). Hier werden jährlich zirka 300 bis 400 Schüler und Schülerin- nen entsprechend unterwiesen. Unter besonderer Hilfeleistung des Bun- desministeriums für Inneres konnte unter anderem erreicht werden, daß 30 Schüler der HTL Steyr einen Strahlenschutzlehr- gang absolvieren konnten, der im For- schungszentrum Seibersdorf mit dem Bronzebewerb zum Strahlenschutzabzei- chen seinen Abschluß fand. Diese einmali- ge Aktion wurde auch in den Medien ~?sprechend gewürdigt (28. Mai 1983 - Osterreich-Bild). 7/163
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