Amtsblatt der Stadt Steyr 1985/5

Noch am 5. Mai trafen sich Vertreter der demokratischen Parteien der Vor- kriegszeit im Rathaus und hielten dort eine Sitzung ab. Es waren dies die Ange- hörigen der ehemaligen Sozialdemokrati- schen Partei, Franz Prokesch und Anton Azwanger, und der christlich-soziale Kauf- mann Ludwig Wabitsch. Im Einverneh- men mit der amerikanischen Militärbe- hörde wurde am 7. Mai Franz Prokesch zum vorläufigen Bürgermeister bestellt. In der Bibliothek des Schlosses Lamberg be- zog eine Gruppe des CIC (Counter Intelli- gence Corps) Quartier. Generaloberst Lothar Rendulic hatte sein Hauptquartier von St. Leonhard am Forst (seit 8. Apri l) nach Waidhofen/Ybbs verlegt. Am 7. Mai begab er sich dann nach Steyr in die amerikanische Gefan- genschaft. Der ehemal ige Befehlshaber der Heeresgruppe Ostmark (früher Hee- resgruppe Süd) wurde nach St. Martin zum Befehlshaber des 20. Armeekorps überstellt. ' Die amerikanischen Divis ionen hatten nicht nur die Enns erreicht, sondern das 261. Regiment der 65. US-Infan terie-Divi- sion kam über diesen Fluß we it hinaus, fuhr an zurückflutenden deutschen Ver- bänden vorbei und nahm am 8. Ma i um 18.45 Uhr in Strengberg Kontakt mit der sowjetischen 7. Garde-Luftlandedivision auf. Die Generäle Stanley E. Reinhart und Daniil A. Dryckin schüttelten dort einan- der die Hände. (Die 7. Garde-Luftlandedi- vision unterstand dem XX. Garde-Schüt- zenkorps unter dem Generalmajor N. I. 14/150 Blick über die ge- sperrte Ennsbrücke auf das Schloß Lamberg. Birjukow, dieses der 4. Garde-Armee un- ter Generaloberst Nikanov D. Zachvataev. Befehlshaber der gesamten 3. Ukraini- schen Front war der Marschall der Sowjet- union, Fedor lwanowitsch Tolbuchin. Truppenverbände der Sowjetarmee wur- den nach Bewährung im Kampf mit dem Titel „Garde" ausgezeichnet. Mannschaf- ten und Unteroffiziere von Gardeverbän- den erhielten einen 100 Prozent höheren, Offiziere einen 50 Prozent höheren Sold.) Die 3. Ukrainische Sowjetarmee traf mit Vorausabteilungen, die von Panzern be- gleitet waren, am ostseitigen Brückenkopf der Ennsbrücke am 8. Mai um 16 Uhr ein. Als am Tag darauf, am 9. Mai, das Gros der Sowjettruppen eintraf, zogen sich auf Grund einer Vereinbarung die amerikani- schen Soldaten auf das linke Ennsufer zurück. An den Ennsbrücken wurden so- fort Sperren errichtet, das Neutor von den Amerikanern mit Pflastersteinen unpas- sierbar gemacht. Diese Aktion wurde so schnell durchgeführt, daß Leute, die zur 8-Uhr-Messe noch unbehindert über die Brücken konnten, diese__ beim Rückweg schon versperrt fanden. Ahnlich erging es Frauen und Müttern, die in die Stadt zum Einkauf gegangen waren. Nur über die Eisenbahnbrücke zu Garsten konnte man später an wenigen Tagen und nur zu bestimmten Stunden die Enns übersetzen, bis auch dort die Absperrung strikt durch- geführt wurde. Dadurch, daß Steyr nun- mehr in zwei annähernd gleiche Teile geschieden worden und jeder Verkehr un- ter~~nden war, mußten in Steyr Ost eige- ne Amter, Behörden, Schulen usw. errich- tet werden. Desgleichen auch ein Kran- kenhaus, weil durch die Absperrung nicht einmal Rettungsautos durchgelassen wur- den. Für Steyr West bedeutete es eine Katastrophe, da sie durch die Teilung von der Hauptbahnlinie und damit auch von der Zufahrt äußerst lebensnotwendiger Güter abgeschnitten worden war. Die Ka- pazität der Lokalbahn Garsten - Klaus reichte nur für eine beschränkte Zufuhr aus. Viele Arbeiter waren von den Steyr- Werken abgeschnitten. Da nur wenige von ihnen über Ersparnisse verfügten, mußten sie aus Mitteln der öffentlich.eo Fürsorge unterstützt werden. Unbeschreiblich war die Wohnungsnot in beiden Stadtteilen. Durch den Zuzug von Flüchtlingen, Fremdarbeitern und ehemaligen Insassen von Konzentrationslagern wuchs die Ein- wohnerzahl auf 103.000! In dieser Zahl wurden auch die rund 29.000 von den Amerikanern in Lagern festgehaltenen Kriegsgefangenen des Bezirkes Steyr mit- gezählt (1937 hatte Steyr 23.672 Einwoh- ner). In Steyr Ost richte ten die Sowjets eine eigene Kommandantur im Haus Bahnhof- straße 18 ein. Im Einvernehmen mit ihr wurde Johann Kahlig zum Bürgermeister bestellt und am 24. Mai eine eigene provi- sorische Stadtverwaltung eingerichtet. Die konstituierende Sitzung dieses Gre- miums aus 24 Mitgliedern fand am 6. Juni 1945 statt. Die Leitung des dortigen In- nendiens tes übernahm Dr. Karl Enzelmül- ler, der auch mit der Errichtung eines Kreis- und Bezirksgerichtes beauftragt worden war. Steyr Ost gehörte ursprünglich verwal- tungsmäßig zu Oberösterreich, unterstand aber nun der NÖ. Landesregierung. Außer diesem Stadtteil war auch der Bezirk Steyr-Land von der zuständigen Bezirks- hauptmannschaft getrennt. Es mußte eine entsprechende Lösung gefunden werden. Schließlich gliederte man die genannten Teile im beiderseitigen Einvernehmen als eigene Bezirkshauptmannschaft dem Lan- de Niederösterreich an. Die Sowjettruppen ließen in den in Steyr Ost gelegenen Steyr-Werken Repa- raturen für die Automobilabteilung der 3. Ukrainischen Armee durchführen. Die mit dieser Arbeit Beauftragten erhielten einen eigenen Schutzbrief. Steyr Ost litt unte r argem Ärztemangel. Das Landeskrankenhaus Steyr lag ja im amerikanischen Sektor der Stadt. Es gab zwar ein Spital in Amstetten, doch konnte d ieses wegen Überfüllung niemanden mehr aufnehmen. So mußte im Hause Punzerstraße 47 in Steyr-Münichholz ein eigenes Krankenhaus geschaffen werden. Die vielen Ortsfremden belasteten Wohnverhältnisse und Verpflegung. Bis zum 6. April 1946 befanden sich in Steyr noch 7500 Flüchtlinge, zum überwiegen- den Teil Vo lksdeutsche aus Ungarn, Ju- goslawien, Rumänien und aus dem Sude- tenland. Vorher waren schon 20.000 Per- sonen abtransportiert worden, vor allem nach der Anordnung des Kommandos der Roten Armee hatten Ausländer und orts- fremde Personen, die nach dem 1. Septem-

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