Amtsblatt der Stadt Steyr 1983/11
Hilfe der städtischen Rumormeister ablie- fern und so den Munitionsvorrat der Stadt Wien vor der Belagerung noch entschei- dend ergänzen konnte. Dann beeilte er sich, seine Kinder aus der gefährdeten Stadt auf seine Zillen an der Donau zu bringen. Er kassierte auch sechstausend Gulden der Gewerkschaft gehörigen Gel- der, eine gleich hohe Summe konnte er wegen des allgemeinen Tumultes nicht mehr eintreiben . Mangels der aus Steyr zugesagten Pferde waren die beiden Zillen nicht aus dem Gefahrenbereich zu brin- gen. Inzwischen hatten an die einhundert Menschen auf diesen Booten Zuflucht ge- funden, darunter der Sekretär der Hof- kammer, Rössing, mehrere hochschwange- re Frauen und viele andere Flüchtlinge, die Schinnerer nicht kannte. Der Stadt- kommandant von Wien, Ernst Rüdiger Graf Starhemberg, Oberst Wilhelm Anton Graf Daun, die Familie des ehemaligen kaiserlichen Residenten zu Konstantino- pel und nunmehr von den Türken gefan- gengehaltenen Georg Christoph von Ku- nitz und der Generalproviantmeister von Kriechbaum hatten Schinnerer ihre Wert- sachen anvertraut. Endlich war es Schin- nerer möglich, drei Pferde und Leute in entsprechender Anzahl zu bekommen, die die bedrohten Zillen eine Meile stromauf- wärts zogen . Der Reisebegleiter Nicolai, dem Schinnerer geholfen hatte, in dem er dessen Zille an seinen Booten anhängen ließ, verließ ihn heimlich und nahm zwei Pferde mit. ,,Er ließ mich ganz unverant- wortlich mit soviel Geld und Seelen im Stich." Die Lage war hoffnungslos, als Türken und Tartaren gegen das Stubentor aufklärten, denn mit einem Pferd konnten die zwei übervoll beladenen Zillen nicht fortgebracht werden. Doch die Rettung nahte. ,,Endlich kam mein Sohn, der Sol- dat, mit einem Tartarischen Roß, daß er im Lager geschwind um vier Gulden ge- kauft hatte, den Zillen zu Hilfe, machte mit einem Sack und Stricken alsbald ein Schiffsgeschirr, saß auf wie ein Schiffsbu- be, und wir kamen selbigen Abend eine Meile nach Nußdorf." ,,Tags darauf, am 13. Juli, hatte Schinnerer wiederum keine Pferde. Auch die von der lnnerberger Hauptgewerkschaft zu Steyr zugesagten waren sicherlich auf dem gefahrvollen Weg nach Wien verlorengegangen . End- lich konnte er eines um neun Reichstaler erwerben . So kamen alle endlich nach Klosterneuburg. ,, Indem kam mein Sohn Gottlieb mit seinem Weib und Kind nach, gab Weib und Kind auf die Fuhre, bekam dort wieder um neun Reichstaler (diesmal) vier Bauernrosse, um eine Meile nach Greifenstein zu kommen . Zu all meinem Glück konnten drei beladene Schiffe mit dem Schatz der Kaiserin (das kaiserliche Silber, die Gobelin- und andere Wertsa- chen) und der jungen Herrschaft nicht mehr heraus und mußten zum Roten Turm zurückfahren. Da kam von densel- ben Schiffen sechs Schiffrosse sporn- streichs nachgeritten, deren Fahrreiter mir wohlbekannt waren, schlugen auf mein flehentliches Bitten geschwind ein und führten mit weiter selbigen Tages abends nach Greifenstein." Am 14. Juli , an dem Tag, als die Türken mit der Belagerung Wiens begannen, kamen Schinnerer und die Seinen !.n unmittelbare Lebensgefahr. Nach der Ubernachtung in Greifenstein waren sie kaum eine halbe Meile flußauf- wärts unterwegs, als eine große Menge Landvolk auf die Donau zu flüchtete, verfolgt von wilden Tartaren . Über tau- send Personen konnten sich auf die Schiffe retten, diese hielten die Mehrbelastung aus und blieben über Wasser. Andererseits mußten vier tüchtige Pferde am Ufer zu- rückgelassen werden. Dort verlor Schinne- rer zwei seiner Knechte. Einern wurde von den Türken der Kopf abgeschlagen, der zweite versteckte sich in den Donauauen und kam nicht wieder. Am linken Ufer gab es leider keinen Treppelweg. Es war überdies von kaiserlichen Soldaten be- setzt, die nicht besser mit den Landsleuten und ihrer Habe umgingen, als die feindli- chen Türken. Man begann, einen proviso- rischen Schiffsweg anzulegen. Am 15. Juli erreichte Schinnerer Krems „In Krems war alles in armis (Waffen), (die Bürger) machten ziemlich gute Anstalten, sich zu wehren!" Am gegenüberliegenden Ufer waren immer Tartaren zu bemerken und die von ihnen verursachten Schadensfeu- er. ,, In denen Auen, wo wir durchpassier- ten , lagen viele tausende arme Seelen (versteckt) ohne Proviant!" Als Schinnerer zu den in St. Johann zurückgelassenen Schiffen zurückkehrte, mußte er feststellen, daß die Schiffleute alles im Stich gelassen hatten und fortge- ritten waren. Am selben Tag fuhr er weiter nach Dürnstein, mußte wiederum das Ufer wechseln und dort an Land gehen, wo das Gebiet von den Tartaren gefährdet war. Schinnerer und seine Begleitung ver- trauten auf ihre Waffen und marschierten bis Aggstein. Sie übernachteten in einer Au. Am 16. Juli erreichten sie unbehelligt Aggsbach und Maria Taferl, am 17. Juli Persenbeug. Am rechten Ufer wurden sie von den Tartaren bis Ybbs begleitet, die aber nicht wagten , die Donau zu über- schreiten. Schinnerer dagegen setzte über, um die Lage zu erkunden. Schinnerers Leute reisten nach Mauthausen weiter, das sie am 18. Juli glücklich erreichten. Schinnerer ermutigte die Bürgerschaft von Ybbs, sich zu wehren, ,,Weil das Schel- mengesindel (d. h. die Tartaren) das Schießen (mit Feuerwaffen) sehr fürchte. " Schinnerer reiste dann von Ybbs über Persenbeug nach Grein. ,,Weil ich nicht mehr gehen konnte, bekam ich zum Glück noch ein altes Pferd und ritt die drei Meilen bis Grein in dreieinhalb Stunden. Dort bekam ich wiederum weder Pferd noch Wagen, so ging ich eine Meile Weges zu einem Bauern, der ließ mich von einem Knaben nach Baumgartenberg führen." Der dortige Abt klagte, daß er kein Pulver zur Verteidigung gegen die Türken hätte. Schinnerer sagte ihm zu, welches aus Enns zu senden. In Baumgartenberg traf Schin- nerer auch den Gutsbesitzer von Hohen- wart mit den Seinen, die sich mit mehre- ren hunderten Menschen retten konnten, als die Tartaren nach Ardagger gekommen waren und dort viele Menschen getötet hatten. Der Herr von Hohenwart habe das Allerheiligste gerettet, indem er es in die Donau versenkte. Schinnerer kam am 19. Juli nach Enns, wo er den dort anwesen- den Kommissaren die Lage schilderte und vorschlug, zum Schutze des Landes ob der Enns den Ennsstrom zu sichern „weil der Feind nur zwei Stunden von da entfernt sei". Schinnerer setzte seine Reise fort und kam am 19. Juli um neun Uhr in seiner Heimatstadt an. Dort habe er „aber mit betrübten Augen die Bürgerschaft flüchtig und lamentierend allenthalben ansehen müssen!" ,,Das edle schöne Land ist von Raab ab gegen Ödenburg bis herauf nach Amstetten sowohl auf der Ebene, als auch im Gebirge versengt und verbrannt. Au- ßer nachfolgenden Orten, die sich mit wenigen Schießen erhalten h~ben, näm- lich Greifenstein , Tulln, Herzogenburg, Traismauer, Hollenburg, Sallaberg, Melk, St. Pölten, Ybbs, Blindenmarkt, Amstet- ten, Scheibbs, Purgstall , Gresten, Frie- degg, Ulmerfeld und die übrigen Orte herauf. Viel Mehl und Getreide sei ver- dorben, vieltausend Menschen erbärmlich niedergehauen , wie man sagt, etwa vier- zehntausend Seelen weggeführt, außer- dem was in den Auen hat verderben und sterben müssen, welcher Schaden mit viel Millionen nicht zu ersetzen ist!" Die geschilderten Einzelheiten dieser gefahrvollen Reise Schinnerers erfahren wir aus seinen Briefen an seine vorgesetzte Dienststelle der Innerberger Hauptge- werkschaft, im besonderen an den Kam- mergrafen in Eisenerz. Die ersten beiden Botschaften verfaßte er mit eigener Hand am 9. Juli , als er sich in Krems an der Donau befand: einen kurzen dienstlichen Brief an seine Amtskollegen Wolf Gigler, den zweiten, einen längeren, an seinen Sohn Maximilian. Beide Schreiben ließ er durch einen Boten über Mauthausen zu- stellen . Den zweiten Brief legte Wolf Gig- ler seinem eigenen vom 11. Juli an die Behörde in Weyer bei . Von dort kam er am gleichen Tag an die Oberbehörde in Eisenerz. Am 10. Juli folgte von Gregor Schinnerer, der sich schon in Wien be- fand , ein dritter Brief, den er nicht eigen- händig verfaßte, aber von ihm unterzeich- net wa r. Gigler sandte ihn wiederum gleich nach Weyer, wo er am 15. Juli nach Eisenerz abging. Dieses Schreiben war sicherlich der Brief, den Schinnerer von Greifenstein mit einer Staffelte abschickte. Beim Schreiben der nächsten Nachricht befand sich Schinnerer schon auf dem Rückweg von Wien in Krems . Dieses ist nur in einem Auszug, verfaßt von Schin- nerers Sohn, überliefert. Das Original- schreiben war am 18. Juli in Steyr ange- kommen und abschriftlich an Wolf Gigler weitergeleitet worden. Schinnerer war be- kanntlich schon am 19. Juli glücklich in Steyr eingelangt, doch sein Bericht, dem di.e vorige Schilderung der gefährlichen Dienstreise entnommen wurde, wurde erst am 2. August verfaßt, nachdem Schinnerer am 30. Juli gemahnt worden war: ,,Schon vor etlichen Tagen haben wir immer und fast stündlich von den Herrn der löblichen Steyrer Stelle (der Innerberger Hauptge- werkschaft) nach erfolgter glücklicher Heimkehr unseres Herrn Obervorgehers Schinnerer schriftliche Nachricht zu erhal- ten gehofft, wie es bezüglich der Feindes- und leidigen Kriegsgefahr sich verhalte, 29/393
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