Amtsblatt der Stadt Steyr 1983/9

Wiens, indem sie die Burgbastei unter Artilleriebeschuß nahmen. Am gleichen Tage wurde Neumarkt an der Ybbs von tatarischen Hilfsvölkern überfallen. Schon vorher war es im Ybbstal zwischen den Herrschaften und den Bauern zu Reiberei- en gekommen, weil erstere den Landleu- ten den zugesagten Schutz gegen die Tür- ken verweigerten. Die Ybbs war mit einigen Ausnahmen die Grenze der Türkeninvasion von 1683 . Alle Orte mit Befestigungen konnten sich halten, so Ybbs, Waidhofen und Ulmer- feld. Amstetten dagegen wurde vcrwüst ·t. Nirgends hatten sich die aufgeworfen ·n Schanzen bewährt, denn sie blieben 111 ·ist unbesetzt oder die Verteidiger nahmen bei Annäherung des Feindes Reißaus. Viele Bürgerfamilien waren aus der hc drohten Eisenstadt geflohen . A111 l(i . .11111 verließen auch vierzehn Zülcst1nc111111l' ll ihre klösterliche Behausun, .. a111 lk1 g", am 4. August folgten weitCl'l' d1L'11l"1111 . Ihre Nieder lassung cmpfahk11 .,ll' dc1 städtischen Obsorge. Erst a111 ! , Scptclll ber sollten sie von ihrem Fxil 111 St ( ;allrn nach Steyr zurückkehren . Die Abwchrmaf.lnahn1l'll d ·1 ll11q.\<'I wurden von Mit ,ficdc111 lks Stadhcnall's beaufsichtigt und w1a11two1 tl1rh g ·k1tl'l Samuel Ortncr und Woll !': 111v "111 t111t1ll11c1 waren für die Ka11011c11 und dril'II lkd1c nung 1.ust ;ind1 •, Johann Rc1L hha1d1 l logc1 und Georg l lli1d1 Sd1 ;\l/k1 1i11 d1 c Wach dienste ... P1ov1a11t111l·1,1l'1 " wall'II 111dwig Reiffcl und M1d1acl Sch1ott11dill11c1 . 1)1l' Munition vc1waltl' tl' Alh1ccht Kll'111han, und N. W1l·1111H·1 Anfan g A11 r 11 s t 1681 wurdc die schon 28/320 angespannte Stimmung in der Stadt durch die Mitteilung gesteigert, daß eine aus 15 .000 Türken und Tataren bestehende Gruppe in der Umgebung von Gresten gesichtet worden sei. Dies veranlaßte Bür- germeister Gregor Schinnerer eine Sitzung mit wenigen Ratsherren in seinem Hause einzuberufen, um die Geheimhaltung der Beschlüsse zu sichern. Darauf wurde der Stadtschreiber mit der Bitte um Hilfelei- stung zu den Ständen nach Linz entsen- det. Die errichteten Schanzen besetzte man umgehend mit Bürgern und ledigen Miinnern. Die „Artillerieverordneten" Ortner und l•\1rt111üllner verlangten unter dem Druck der herannahenden Gefahr, daß für die acht schweren Geschütze 1350 Kugeln, 80 Kai t;itschen sowie Ladeschau fein , Setz- 1111d Wischkolben, l000 Kugeln für die Doppelhakenbüchsen und weitere 60 für d ie drei Böllerkanonen angeschafft wer- den . Fine miliUirische Hilfe aus Linz wurde 111cht 1.ugesagt, weil die dortigen Stände , .ur richtigen Auffassung gekommen wa- r ·11, daß die Eisenstadt nicht unmittelbar bedroht sei . Auch Bürgermeister Schinne- rer kam schließlich zu dieser Ansicht. Die Wachen wurden darauf vermindert, ein Teil der Besatzung entlassen. Am 15 . September langte in Steyr die Nachricht von der Befreiung Wiens am 12. September ein. Auch der Stadtrichter Athanasius Schühel berichtete aus Linz „dal.l Wien entsetzt und der Erbfeind mit l linterlassung aller Stuck Munition , Pro- viant, Bagage und Zelten weggeschlagen und in die Flucht getrieben" sei . Die Abrechnung der Verteidigungsko- sten ergab einen Betrag von 7325 Gulden. Die Stände in Linz verweigerten vorerst einen Zuschuß. Im Jahre 1686 stand um Ennsdorf noch immer der Palisadenzaun von 2739 Stämmen, den die Stadt dann als Brennholz veräußerte. Doch die Beschwernisse fanden nach der Türkengefahr 1683 für Steyr kein Ende. Vier Jahre später wurde aus Wien berichtet, daß die Türken wiederum Bren- ner ausgeschickt hätten. Zum Schutz der Stadt stellte der Rat eine eigene Wache in der Stärke von sechs Mann auf. Im Oktober 1690 wurde der Stadt Steyr aufgetragen, fünfzig Fußsoldaten anzu- werben und sie nach Linz zu entsenden, ein Befehl, dem die Stadt Steyr nicht nachkommen konnte. Um die Ausrüstung der Aufgebotenen bezahlen zu können, mußte 1691 wiederum eine Kopfsteuer ausgeschrieben und auch „Rüstgeld" be- zahlt werden. Sechs Jahre später hatte die Stadt Steyr zur Errichtung von Verteidi- gungsanlagen in Ungarn sechs Zimmer- leute und zwei Zillenschopper zu stellen. Die andauernde Kriegszeit brachte eine Verknappung von Lebensmitteln mit sich. Am Wochenmarkt zu Steyr wurde wenig Getreide angeboten. So mußte Getreide in Niederösterreich und in Bayern besorgt werden. Bezüglich der Fleischaufbringung war ungarisches Vieh anzukaufen. Die schwierige Versorgungslage wurde von ei- nigen Bäckern zur eigenen Bereicherung ausgenützt. Es gab Verweise und Strafen für den Verkauf von untergewichtigem Brot. 1 m Mai 1695 wanderten alle Fleisch- hauer der Stadt kurzfristig in den Arrest, weil sie Fleisch zu überhöhten Preisen verkauft hallen. Eine neuerliche Anwerbung von Mann- schaften blieb erfolglos. Steyr ersuchte andere Städte um Stellung von Mann- schaften gegen Ersatz der Anwerbungsko- sten. Viele einquartierte Soldaten deser- tierten. Viele Rekruten mußten von der Stadt Gewehre leihen. Der Rat entschied, man solle nicht die „ besten" Stücke aus dem städtischen Zeughaus hergeben. Die kriegerischen Erfolge der kaiserli- chen Armee unter der Führung von Prinz Eugen gegen die Türken wurden in Steyr mit Danke gottesdiensten und Prozessio- nen feierlich begangen. In der Eisenstadt strebte das „barocke Lebensgefühl" sei- nem Höhepunkt entgegen, der sich in der Erneuerung des kulturellen Lebens und in einer verstärkten Baulust im sakralen und wdtlidit:n Bt:rt:ich au~drückte. Volker Lutz Archivalien (alle Stadtarchiv Steyr): Ratsprotokolle der Jahre 1663 bis 1695; Testamente; Hausbeschreibung von 1669. Benützte Literatur: Edelbacher Ludwig, Landeskunde von OÖ., Wien 1883. - Gut- kas Karl, Das Türkenjahr 1683 in Nieder- österreich, Wissenschaftliche Schriftenrei- he Niederösterreich. St. Pölten 1982. - Krenn Ingeborg, Häuserchronik der Alt- Fresko in Garsten: Besichtigung des eroberten türkischen Feldlagers durch Kaiser Leopold. Foto: Diözesanbildstelle steyr

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