Amtsblatt der Stadt Steyr 1981/5

I Fassungslos hörten wir am Mor- gen des l. Mai die Nachricht von der Ermordung des Wiener Stadtrates Heinz Nittel, einem überzeugten Sozialisten und stän- digen Verfechter der demokrati- schen Freiheiten. Mit ihm ver- band mich im österreichischen Städtebund manches interessante Gespräch über städtische Pla- nungs- und Verkehrsfragen, wo- bei ich ihn als versierten Fach- mann auf kommunaler Ebene schätzen lernte. Nittel galt als freundlicher, aufgeschlossener und auch zielstrebiger Politiker, weshalb wir, die ihn kannten, ratlos vor dem Hintergrund die- ses sinnlosen und verwerflichen Attentats stehen. Daß es sich bei diesem Mord an einem allseits beliebten Politiker um eine Tat mit politischem Hintergrund handelt, darf nach Lage der Din- ge mit Sicherheit angenommen werden. Morde dieser Art finden aber nicht spontan und ohne Aufbereitung der öffentlichen Meinung statt. Es scheint mir höchst an der Zeit, auch bei uns wieder eine Form der mensch- lichen Beziehung zu finden, die lange Zeit die politische Szenerie in Osterreich auszeichnete und in letzter Zeit durch unkontrollierte und unbewiesene Beschuldigun- gen von Politikern und politi- schen Parteien ins Primitive ab- zugleiten droht. Wie anders wäre es zu erklären, daß der Bundes- obmann der FPÖ, Dr. Steger, Ju- stizminister Dr. Broda öffentlich im Fernsehen als Staatsfeind Nummer l bezeichnet. Wie wäre es auch zu erklären, daß im Zu- sammenhang mit dem AKH- Skandal politische Mandatare auf das ärgste beschimpft, in ih- Die Seite des Bürgermeisters rer persönlichen Ehre herabge- setzt werden und gegen sie Be- schuldigungen aufgestellt werden, die bis heute nicht bewiesen sind. Es wird Zeit, daß sich jene leicht- fertigen Schreiber und Schwätzer etwas mehr unter Kontrolle neh- men und J?:icht ständig und unge- straft der Offentlichkeit mit un- bewiesenen Beschuldigungen und Behauptungen ein sehr schlechtes Beispiel in der Nutzung demo- kratischer Freiheitsrechte liefern. Die gegenwärtige Linie verführt geradezu dazu, daß leichtbeein- flußbare Kreise ihre Gefühle in Haß und Widerstand umfunktio- nieren. Wie sollen denn die de- mokratische Freiheit und der Rechtsstaat funktionieren, wenn sich ein kleiner Kreis von Perso- nen ständig das Recht heraus- nimmt, andere abzuqualifizieren und auch persönlich zu diffamie- ren. Man braucht sich dann nicht wundern, wenn es zu Entglei- sungen kommt, die bei Demolie- rungen beginnen und bis zum Terror in seinen verschiedensten Formen reichen. Gerade der Rückblick auf den 1. Mai sollte die Erinnerung auf- leben lassen, daß die Kämpfe um mehr Freiheit, um mehr Gerech- tigkeit und um mehr Chancen- gleichheit nicht erfolglos waren. Um so mehr sollten diese wert- vollen Ergebnisse eines j ahrzehn- telangen Ringens wohlbehütet werden, um sie auch folgenden Generationen ungeschmälert weiter vermitteln zu können. Um dies zu erreichen, gehört auch weiter viel Fleiß und die Nut- zung jeder sich bietenden Chance zur Weiterentwicklung unserer wirtschaftlichen und kommunal- politischen Möglichkeiten. In dieser Entwicklung ist nach wie vor der Mensch Zentralpunkt des Geschehens, weshalb auch die menschliche Würde ein An- spruch für jeden Staatsbürger sein muß. In diesem Sinne ver- bleibe ich wie immer Ihr Franz Weiss Bürge rmeister

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2