Amtsblatt der Stadt Steyr 1980/7

Neue Bücher Österreich in Geschichte und Gegenwart „Spectrum Austriae" . Herausgegeben von Otto Schulmeister. 422 Seiten, mit 32 Farb- und 32 SW-Bildseiten, 21 mal 27 cm, S 440.-, Molden-Verlag. Wieso geht es eigentlich den Österrei- chern heute so gut, daß man von einer Insel der Seligen" spricht? Was steckt dahinter, was ist dieses Österreich über- haupt? Eine Wohlstandsprovinz, ein Rest vergangener Geschichte, der tote Winkel in der Ost-West-Konfrontation? Wer nicht alles als bloßen Zufall nimmt, wird in Österreichs geschichtlicher Erscheinung und Gegenwart nach Antwort auf diese Fragen suchen , und eben diesem Zweck dient dieses „Spectrum Austriae". In 22 Beiträgen wird Österreichs Lebensvielfalt so dargestellt, daß Na tur und Vergangen- heit des Landes, Kultur und Volkscharak- ter, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in ihren wesentlichen, also heute lebensbe- stimmenden Zügen hervortreten, wobei der Verwandlung Österreichs seit 1945 das besondere Interesse gil t. Die Autoren zäh- len zu den führenden Vertretern ihrer Wissenschaft, der Literatur und Publizi- stik. Als die Österreicher nach 1955 wieder Herr im eigenen Haus geworden waren, hatte sich dieses Team zusammengefun- den, um nach der Rettung aus zwei Unter- gängen - 1918/19 un~ 1938/45 - Rechen- schaft zu geben, was Osterreich zur Selbst- behauptung und Wiedergeburt befähigte. Die Jahrzehnte seither haben jene Hoff- nung nicht enttäuscht, im Gegenteil, doch zu Anfang der achtziger Jahre stellt sich für alle Welt die Frage nach einer eigenen Zukunft nur noch dringlicher. So ist aus dem „Spectrum Austriae" nicht eine Neu- auflage, sondern eine neue Ausgabe ge- worden, in Text, Bild- und Kartenteil wie Ausstattung. Die Namen einiger Autoren und deren Beiträge verdeutlichen die damals wie heute aktuelle Absicht : Otto Schulmeister - Zwischen Gestern und Morgen. - Hein- rich Benedikt - Die Casa d'Austria, das Reich unq Europa. - Hugo Hantsch - Der Völkerstaat an der Donau. - Johann Chri- stoph Allmayer-Beck - Die Träger der staatlichen Macht. - Adam Wandruszka - Parteien und Ideologien im Zeitalter der Massen. - Eugen Lemberg- Das Schicksal der Nachfolgestaa ten. - Hans Seidel - Das Ringen um die wirtschaftliche Selbstbe- hauptung. - F riedrich Herr - Humanitas Austriaca. - Friedrich Torberg - Selbstge- richt in der Literatur. - Anton Böhm - Das Phänomen Wien. 28/256 Phänomen Einsamkeit Hans Jürgen Schultz: EINSAMKEIT. - Ca. 280 Seiten, kartoniert mit vierfarbigem Umschlag und 18 Porträtfotos von den Autoren, Kreuz-Verlag. Selten trifft wohl ein Thema so zutref- fend ein alle Menschen bewegendes Pro- blem. Da es von Autoren wie Mani:s Sperber, Robert Jungk, Margarete Mit- scherlich-Nielsen und Dorothee Sölle auf- gegriffen und reflektiert wird, verdient dieses Buch die Aufmerksamkeit jedes Menschen, der sich selbst und seine Zeit verstehen möchte. Jeder der Autoren be- trachtet das Phänomen Einsamkeit aus seiner Perspektive ; so ist ein Sammelband entstanden, der individuelle und gesell- schaftliche Aspekte der Einsamkeit an- schaulich und kritisch zur Sprache bringt. „So ernst die Einsamkeit in ihren vielen leidvollen Ausprägungen genommen wird, so wenig möchten die Autoren der Resi- gnation das letzte Wort lassen. Sie wollen dazu beitragen, daß aus der schlechten Einsamkeit, die nach Aristoteles nur ein Tier oder ein Gott aushält, hier und da das Beispiel einer guten Einsamkeit wird, in der der Mensch nicht verstummt, sondern sich sammelt, um für die Mitmenschen und die Umwelt offen zu sein", schreibt Hans Jürgen Schultz. Die öffentliche Meinung Elisabeth Noelle-Neumann: DIE SCHWEIGESPIRALE. 300 Seiten mit 56 erläuternden Graphiken, Piper-Verlag. Diesem Buch liegen die Erfahrungen einer Lebensarbeit zugrunde. Wie öffent- liche Meinung funktioniert , wie aus Reden und Schweigen in kontroversen Bereichen gesellschaftliche Integration erwächst, hat Elisabeth Noelle-Neumann seit 1947 beobachtend, messend, analysierend ver- folgt. Als ein Stück intellektueller Auto- biographie und zugleich Wissenschaftsge- schichte legt sie nun das sozialpsychologi- sche Muster vor, das sich hinter laufend veröffentlichten Prozentzahlen verbirgt. In diesem Buch geht es um das Ver- ständnis von öffentlicher Meinung, wie es sich aus der Entdeckung des Prozesses der Schweigespirale entwickelt hat, um das unaufhörliche Drama von öffentlicher Bil- ligung und Mißbilligung, um das Gefühl dafür, was andere denken, um die Furcht der Menschen vor Isolierung durch ihre Mitmenschen, um Überzeugung und Mo- den, um die Neuerer, den harten Kern und die Öffentlichkeitssüchtigen, um Wandel und Erneuerung der öffentlichen Meinung auf allen Gebieten - vom Rau- chen über politische Wahlen zum Schei- dungsrecht und den Fernsehprogrammen. Die sozialpsychologische und begriffsge- schichtliche Untersuchung Noelle-Neu- manns wird gestützt und ergänzt durch das Einbeziehen verwandter Erschei- nungen in der Tierwelt und Vorformen der öffentlichen Meinung in archaischen Gesellschaften. Ebenfalls werden For- schungen aus verschiedenen wissenschaft- lichen Disziplinen hinzugezogen, deren Erkenntnisse auf Gebiete wie Rechtsord- nung und Massenmedien anwendbar sind. Die anschaulichen Graphiken und Tabel- len dieses Buches, das wie eine Erzählung zu lesen ist, erleichtern das Verständnis auch komplizierter Zusammenhänge. So bietet die „Schweigespirale" einen Schlüs- sel zum Verständnis entscheidender gesell- schaftlicher Vorgänge für die Praktiker in Öffentlichkeitsberufen ebenso wie für die Theoretiker der öffentlichen Meinung; und das sind in gewissem Maße alle Men- schen, ob als passiv Teilnehmende oder als hoffnungsvolle Veränderer. ' Weg in die Fremde Jean Amery: ÖRTLICHKEITEN. Nachwort von Manfred Franke. Ca. 160 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 22 DM, Verlag Klett-Cotta. ,,Er gehört einer miserablen, einer verlo- renen Generation an. Jahrgang 1912. Bei Ausbruch des Nazismus noch viel zu jung, als daß er auch nur zu bescheidenem Ansehen hätte gelangt sein können, war er, als der Alptraum sich verzog und er aus dem Stupor erwachte, schon nicht mehr im Alter eines Debütanten". So stellte sich Jean Amery 1968 in einer Beschreibung seiner Flucht nach Belgien vor. Wer so spricht, schreibt keine Memoiren; dem wird jegliche Erin~~rung Anlaß zu immer neuer Reflexion. Ortlichkeiten, das sind Stationen auf Amerys Lebensweg, auf dem „Weg in die Fremde". Der besondere Reiz dieser Stücke liegt darin, daß Amery hier erzählt, überraschend gelöst erzählt von dem, was ihm wieder in den Sinn kommt, wenn er sich die Stationen seines Lebens vergegenwärtigt. Reisetagebücher Albert Camus: ,, REISETAGEBÜ- CHER." Deutsche Erstveröffentlichung. Deutsch von Guido G. Meister. 128 Sei- ten, geb. , DM 22, Rowohlt-Verlag. Die hier erstmals veröffentlichten Texte aus dem Nachlaß sind beide für Camus und für sein Werk besonders aufschluß- reich. Als Reiseberichte werden sie in diesem Band zusammengefaßt, obwohl Camus selbst sie nicht als Einheit betrach- tete: die Aufzeichnungen über die Reise in die Vereinigten Staaten (1946) mit einem Abstecher nach Kanada waren chronolo- gisch in die Folge der sogenannten Car- nets eingereiht, während das Tagebuch über die Reise nach Südamerika (1949) möglicherweise dazu bestimmt war, in einem ausführlichen Bericht verwendet zu werden. Camus sieht die Vereinigten Staaten mit den Augen des Europäers der unmittelba- ren Nachkriegszeit, der sich nach fünf Jahren der Finsternis unvermittelt in ei- nem von Licht und Reichtum überfluteten Land findet, wo alles darauf abzielt, zu beweisen, daß das Leben nicht tragisch ist. Das Tagebuch über die Reise nach Südamerika zeigt Camus in einer seelisch wie körperlich schwierigen Verfassung. So erklärt sich seine besonders empfindliche Reaktion auf die scharfen Gegensätze, denen der Europäer in den südamerikani- schen Ländern, vor allem in Brasilien, begegnet. All die täglichen, großen und kleinen, komischen und tragischen Erleb- nisse vermitteln dem Leser das Gefühl, einem der faszinierendsten Menschen un- serer Zeit erneut zu begegnen, Camus und seinem Werk näherzukommen. Steyr

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