Amtsblatt der Stadt Steyr 1980/4

trostlose wirtschaftliche Lage dieses Stadt- teiles schildert sehr treffend ein Bericht: ,,Am 7. Mai ga b es in Steyr Ost kein Brot, keinen Sack Getreide oder Mehl, ... keine Milch und keine Fahrzeuge. Es war eine Sensation, ... als zum ersten Male nach langer Zeit zwei Dekagramm Butter für jedes Kleinkind ausgegeben werden konn- ten. " Eingefügt sei hier, daß die Bevölke- rung der Stadt, die 1938 rund 39.000 Personen betrug, anfangs 1945 eine Erhö- hung auf rund 54.000 Köpfe erfahren hatte. In dieser Zahl sind die vielfach in Wohnbaracken und sonstigen behelfsmä- ßigen Unterkünften untergebracht gewe- senen, nicht ortsansässigen Beschäftigten der Steyr-Werke, eingerechnet. Im Jahre 1943 arbeiten allein in den Steyr-Werken rund 16.000 Personen, unter ihnen etwa 6000 Ausländer. Unmittelbar nach Kriegs- ende wuchs die Bevölkerung der Stadt durch Zuzug von Flüchtlingen, Fremdar- beitern und ehemaligen Insassen von Konzentrationslagern auf rund 79.000 Per- sonen an. Im Westteil der Stadt mußte das Ernährungsamt zu den hier Wohnenden Hübsch, Vinzenz Ribnitzki , Johann Scha- novsky, Thomas Trunk und Josef Wöhrer. Bei der konstituierenden Sitzung des im Haus Bahnhofstraße 5 untergebrachten ,,Gemeindeamtes Steyr, rechts der Enns" am 6. Juni 1945 verwies Bürgermeister Kahlig auf die Tatsache, daß der Aufbau der neuen Gemeindeverwaltung „aus dem Nichts und vorerst ohne Geldmittel" er- folgte. Nach Angelobung der neu bestell- ten Gemeinderäte wurde die Annahme eines vorläufig neu en Gemeindestatutes, das „demokratischen Geist widerspiegelt", beschlossen. Einige Tage spä ter begab sich unter Führung Kahligs eine Abordnung von Gemeinderäten zum damaligen Staats- kanzler und späteren Präsidenten der Re- publik, Dr. Karl Renner, um „über die Zukunft der Stadt und das Schicksal der hart bedrängten Steyr-Werke" einen Ge- dankenaustausch zu pflegen. Der Staats- kanzler versicherte, daß die Staatsregie- rung alles mögliche unternehmen werde, um „die. Eisenstadt vor dem Verfall zu retten". Als die Abordnung auf die prekä- Das war 1945 die Tagesration für einen A rbeiter. auch noch die rund 29.000 von den Ameri - kanern in Lagern festgehaltenen Kriegsge- fangenen des Bezirkes Steyr mitversorgen. Dies machte die Errichtung eines eigenen Lebensmittellagers in diesem Stadtteil not- wendig, von dem aus die gesamte Versor- gung der Kriegsgefangenen und Flüchtlin- ge erfolgte. Unbeschreiblich war die Wohnungsnot in beiden Stadtteilen. Alle Schulen, Lager- baracken, Gasthöfe, Scheunen und Ten- nen in Bauerngehöften wurden als Mas- senquarti ere herangezogen. Für die Ver- wa ltungstätigkei t bedeutete es überdies eine besondere Erschwernis, daß über Te- legraf und Telefon eine Sperre ve rfügt wurde , die auch den Verkehr mit den Oberbehörden verzöge rte. In Steyr Ost wurde im Einvernehmen mit Repräsentanten der Roten Armee der Büchsenmacher Johann Kahlig zum Bür- germeister bestellt und eine provisorische Stadtverwaltung eingerichtet. Dem Ge- meinderat gehörten nachstehende Herren, als Vertreter demokrati scher Parteien der Vorkriegszeit, an: Karl Bloderer, Ka rl 14/122 re Ernährungslage hinwies, versprach Staatssekretär Dr. Schärf sofortige Maß- nahmen einzuleiten, um dem schwerge- prüften Stadtteil zu helfen. Staatssekretär für Inneres, Honner, war der Ansicht, daß ,,die Probleme der Stadt im wesentlichen" von den Gemeindefunktionären selbst ge- löst werden müßten . E r gab sein Einver- ständnis zur vorläufigen Errichtung einer Gemeindepolizei, der auch die Aufgaben der Gendarmerie zu übertragen waren, bis dieser Sicherheitskörper reorganisiert und eine Bezirkshauptmannschaft errichtet wäre. Über Aufforderung ha tten sich die in diesem Stadtteil wohnenden Beamten uncj öffentlichen Angestellten zu melden. Mit ihnen und den Funktionären wurde eine Reihe notwendi ger Behörden errich- tet: ein Gemeindepolizeiamt, ein Woh- nungsamt, ein Fürso rgeamt und ein Ar- beitsamt Ost, das seine Tätigkeit schon im Mai aufgenommen hatte. Mit der Errich- tung eines Kreis- und Bezirksgerichtes wurde Dr. Karl Enze lmüller betraut, der auch ehrenhalber die Leitung des-Innen- dienstes im neu errichteten Magistrat Steyr Ost übern ahm. Am 23. Juli wurden in Münichholz zwei Kindergärten eröff- net. Um die vorn Magistrat entlohnten Be- schäftigten bezahlen zu können, fehlte Geld. Die Herren Franz Draber und Hans Strauß übernahmen die schwierige Aufga- be, in dunkler Nacht über die Enns zu schwimmen und eine Verbindung mit den Funktionären in Steyr West herzustellen. ,, Sie bekamen Geld und durchschwam- men noch einmal den Fluß, schlichen sich durch die Postenkette (der Besatzungs- macht) und Steyr Ost ha tte wieder für eine Zeitlang Geld", wird berichtet. Steyr Ost, das, wie die andere Stadthälf- te, bi sher verwaltungsmäßig zu Oberöster- reich gehörte, unters tand nun in Belangen der Verwaltung der niederösterreichischen Landesregierung. Da außer diesem Stadt- teil auch der Bezirk Steyr-Land von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft ab- getrennt war, mußte auch hier eine Lö- sung gefunden werden. Im Einvernehmen mit der Landeshauptmannschaft Nieder- österreich wurde, vorbehaltlich der Zu- stimmung der Staatsregierung, ein Über- einkommen geschlossen, wonach die vor- erwähnten abgetrennten Teile als selbstän- dige Hauptmannschaft dem Lande Niederösterreich angegliedert wurden . Die neue Stadtverwaltung fand sich anfangs zunächst vor der fast unlösbar scheinen- den Aufgabe, die Versorgung der Bevölke- rung und der vielen Tausenden Flüchtlin- ge aus Kampfgebi.eten mit den notwendig- sten Nahrungsmitteln zu sichern. In Stadt- nähe waren etliche Waggons Hafer vor- handen, die vorerst herangebracht, dann verrnahlen und zu Brot gebacken wurden. Einige zurückgebliebene Wehrmachtspfer- de dienten der ers ten Fleischversorgung. Ein eigenes Holzkommando war be- schäftigt, für die wenigen vorhandenen Las tkraftwagen mit eingebauten Hol zve r- gasern, Holz zu schneiden und zu hacken. Mit diesen Fahrzeugen wurde nun von den Bauernhöfen der umliegenden Land- gemeinden Milch und andere Lebensmit- tel herangeschafft. Einige dieser Gemein- den wurden durch die niederösterreichi- sche Landeshauptmannschaft verpflichtet, ihre Erzeugungsüberschüsse an landwirt- schaftlichen Produkten ausschließlich dem neugeschaffenen Bezirke zur Verfügung zu stellen. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß in St. Valentin die Maschine eines Molkerei- betriebes vorhanden waren. Diese wurde nach Steyr Ost gebracht und im schwer bombenbeschädigten, notdürftigst in - standgesetzten Hause Pachergasse 9 ein Molkereibetrieb errichtet. Diese Aktion stand unter Leitung des Herrn Julius Böhm. Besondere Schwierigkeiten bereitete die ärzt liche Versorgung der Kranken und die der schwerverwundeten Soldaten, die noch immer in die Stadt gebracht wurden. Steyr Ost litt unter Ärztemangel. Das Landeskrankenhaus lag im amerikani- schen Sektor der Stadt, ein Verkehr zwi - schen den beiden Stadtteilen bestand durch längere Zeit nicht. Das nächstgele- gene Spital in Amstetten konnte wegen Überfüllung niemand aufnehmen. Unter Fortsetzung auf Seite 26 steyr

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