Amtsblatt der Stadt Steyr 1975/5

6 AMTSBLATT DER STADT STEYR 1975 in dem von Amerikanern besetzten Westteil, die Haupt- verkehrslinien dagegen mit dem Bahnhof im Ostteil. In Steyr-West mußten alle wenigen, noch vorhandenen und betriebsfähigen Fahrzeuge für die Versorgung der Zivilbevölkerung beansprucht werden. Die Stadt Steyr, die 1938 cirka 27. 000 Einwohner hatte, mußte schließlich durch den Zuzug von Flücht- lingen, Fremdarbeitern usw., wenn auch nur für kurze Zeit, für 103. 000 Personen sorgen. Ende Mai 1945 be- trug die auf Lebensmittelkarten ausgegebene Wochen- ration je Kopf der Bevölkerung 500 Gramm Brot, 200 Gramm Mehl, 100 Gramm Fett, 200 Gramm Fleisch, 125 Gramm Zucker, 75 Gramm Trockenerbsen, 25 Gramm Kaffeeersatz und 1 Ei. Erst im Juli konntt: die wöchentliche Brotration auf 8:'i0 Gramm gesteigert wer- den. Mit großen Schwierigkeiten liatte auch das Er- nährungsamt Steyr-Ost zu l<.'impfen. D.ie im Westteil der Stadt wohnenden Angehörigen der Steyr -Werke waren von .ihrer Arbeitsstältt abgeschnitten und mußten aus Mitteln der öffe11tl1chen Fürsorge unterstützt werden, Am 6. Juni ]()4 ,"i wurde für Steyr-Ost im Einver- nehmen mit der "Roten Armee" eine eigene Stadtver- wa llll11g unter der Führung des Bürgermeisters Johann Kahlig bestellt. Dr. Karl Enzelmüller übernahm da- mals neben der Neuerrichtung des Kreis- und Bezirks- gerichtes auch die Leitung der neuen Verwaltung Steyr- Ost. Steyr-Ost wurde zunächst als selbständige Bezirks- hauptmannschaft dem Lande Niederösterreich angeglie- dert. Von der Niederösterreichischen Landesregierung wurden die umliegenden Gemeinden verpflichtet, die Überschüsse an landwirtschaftlichen Produkten aus- schließlich diesem neuen Verwaltungsgebiet zur Ver- fügung zu stellen. Auch die Sicherung der ärztlichen Versorg1111g brachte große Probleme. Steyr-Ost litt an besonderem Ärztemangel, lag doch das Landeskrankenhaus im west- lichen Teil der Stadt. Das von Steyr-Ost nächstgelege- ne Spital in Amstetten konnte niemanden mehr aufneh- men. Unter größten Schwierigkeiten wurde im Hause Punzerstraße Nr. 47 ein Ersatzkrankenhaus eingerichtet. Am 28. Juli 1945 zogen sich die sowjetischen Truppen an die Landesgrenze zurück. Nach der Beset- zung der ganzen Stadt Steyr durch die Amerikaner und dem Ende der lebensbedrohenden Trennung wurde eine gemeinsame Stadtverwaltung eingerichtet. Über 14. 000 Kubikmeter Bombenschutt mußte von den öffentlichen Straßen und Plätzen entfernt werden - eine Menge, die 29 Lastzüge zu je 50 Waggons ergäbe. Die "Soziale Hilfe" organisierte eine Kleideraktion für 3. 000 Personen, in der darüberhinaus 2. 000 Paar Schuhe abgegeben wurden. l00Pcrsoncn konnten in Privatquar tiere vermittelt werden. 15. 000 Flüchtlinge fanden in 18 Lagern, nach Nationen getrennt, Aufnahme. Vier Küchen gaben bis zum 21. Juli 1945 416. 000 Tages- verpflegungen ab. Langsam begann sich das Leben zu normalisieren. Ungeheure gemeinsame Anstrengungen der Bevölkerung, der Stadtverwaltung und von Hilfsorganisationen waren hiezu nötig. Um Schwierigkeiten zu beheben und die verschiedensten Probleme einer Lösung zuzuführen, führte die Stadtverwaltung täglich Beratungen mit der amerikanischen Militärregierung durch. Nach Abwanderung der Wehrmachtsangehörigen und eines großen Teiles der Flüchtlinge verblieben denn- noch zusätzlich 14. 000 Menschen in der Eisenstadt. 78 Die brennendsten Probleme der Steyrer Stadtverwaltung waren daher weiterhin die Beseitigung des Bombenscha- dens und die Wohnraumbeschaffung. Durch die ersten demokratisch durchgeführten Ge- meinderatswahlen kam es zur Konstituierung eines neuen Steyrer Gemeinderates. In der ersten Sitzung am 14. September 1945 wurden alle von Bürgermeister Prokesch bis dahin getroffenen Verfügungen und Ent- scheidungen, die in die Kompetenzen des Stadt- oder Gemeinderates gehört hätten, gutgeheißen. Damit war die demokratische Ordnung in unserer Stadt wieder hergestellt und es setzte ein gewaltiges Aufbauwerk ein, das Steyr zu seiner heutigen Größe und Bedeutung führte. Dr. Volker Lutz Literatur: Josef Ofner, "Die Eisenstadt Steyr, geschichtlicher und kultureller Überblick", Steyr 1956. -Erlefried Krobath, "Steyr nach dem zweiten Weltkrieg", Veröffentlichun- gen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 28, Steyr 1967. l Es geschah in Steyr ---. Vor 100 Jahren: "Am 1. May wurde auch die Actien- Pfänder-Leih-Anstalt im II. Stock im Rathaus rückwärts, wofür der Stadt 400 fl. Jahreszins gezalt wird, geöffnet,. und sogleich vom Publicum sehr frequent benützt. - Am 12. und 13. wurden die Wasserleitungsröhren am Stadtp latz und am 20. et 21. in der Enge gelegt". Vor 50 Jahren: Am 5.Mai 1925 findet eine Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr statt, die sich vor allem mit der Bekämpfung der großenArbeitslosigkeit und mit der Ausarbeitung eines städtischen Wohnungsbaupro- grammes beschäftigt. Am 17. Mai 1925 finden in Oberösterreich Land- tagswahlen statt. Das Ergebnis für Steyr-Stadt lautet: sozialdemokratische Partei 7. 278, Gemeinsame Liste (Christlichsoziale und Großdeutsche) 4. 367, Kommu- nisten 483, Nationalsozialisten 243 und Unabhängige 22. Im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums in Wien findet ab 10. Mai 1925 eine Ausstellung von Werken des Steyrer Stahlschnittmeisters Michae 1Blümel- huber statt. U. a. werden gezeigt: Der Linzer Dom- schlüssel, das Kalksburger Stahlkreuz, das "Evange - lium" und die "Menschheitszukunft". Vor 25 Jahren: Am 20. Mai 1950 wurde die Schwimm- schule durch die Steyr-Daimler-Puch-AG wieder ge- öffnet, nachdem die eingebrochene Staumauerentlang der Steyr erneuert, die Schwimmbecken vollkommen neu angelegt, das Kinderplanschbecken mit einem neuen Boden versehen und die Vorwärmeteiche mit Filteran- lagen ausgestattet worden waren. Das Steyrer Realgymnasium begeht im Rahmen eines großen Maturanten-Treffens die Feier seines 75- jährigen Bestandes.

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