Amtsblatt der Stadt Steyr 1974/10

.... (lJ ::l ~ .... .... "' :r: 0 .... 0 J.L. 4 AMTSBLATT DER STADT STEYR 1974 Schöne Bauten unserer Stadt PFARRGASSE NR. 7 Das Ilaus Pfarrgasse Nr. 7 wurde in die Fassaden- aktion des Jahres 1974 einbezogen und zeigt eine ein- fache, dennoch reizvolle doppelgiebelige Vorderseite. Die ßcsitzer der IIäuser am "Kirichberg" waren nicht mit dem Reichtum ausgestattet wie ihre Zeitgenossen am Stadtplatz w1d am Grünmarkt, daher zeigen die Fas- saden der Dehausungen in der Pfarrgasse weniger dekora- tiven und kaum welchen figuralen Schmuck. DerBesitzer dieses Hauses hatte im 15. Jahrhundert seine Dienste am Stadtpfarrkirchenamt zu leisten. Der Steyrer Bürger Hans Wiener, verheiratet mit Margarete, der Witwe des Erhard Lueger, kaufte 1432 dieses Haus. In dem Kaufbrief vom 19. Oktober 1478 - das Ne- benhaus betreffend - wird als Besitzer des Hauses Pfarr- gasse Nr. 7 ein gewisser Eberhard ausgewiesen. Von der Witwe Barbara Eysner, die das Haus von 1479 bis 1516 inne hatte, ging das Haus an den Tischler Hans Pösl über. Auf ihn folgten der Kürschner Hans Käsberger (bis ca.1578) und mit Valentin Ranz (bis ca. 1598) wiederum ein Tischler. Der nächste Besitzer war der Bortenschlager - Er- zeuger von Randbesatz an Kleidern - Nikolaus Lindt- wurm. In Steyr sind um 1542 vierunddreißig Meistersin- ger nachzuweisen, von denen der Ahlschmied Severin Kriegsauer und Nikolaus Lindtwurm die bedeutendsten waren. Besonders in den Sechzigerjahren stand der Mei- stergesang in der Eisenstadt in höchster Blüte. Der aus Essen stammende Lorenz Wessel schrieb 1562 die "Ta- bulatur Vnndt Ordnung der Singer in Steyr im Landt ob 160 der Enns gelegen" und ein Loblied auf die hiesigen Mei- stersinger. Nikolaus Lindtwurm bekam im Jahre 1599 das Bür- gerrecht verliehen und am 2. Jänner 1611 verehelichte er sich mit Barbara Stremberger, der Tochter des Mül- lers Hans Stremberger aus Gutenberg in Böhmen. Dieser Ehe entstammten drei Kinder - Juliana, Urban und Georg. Am 2. Dezember 1616 erwarb Lindtwurm das Haus Pfarrgasse Nr. 7. Nikolaus Lindtwurm stand im ganzen oberöster- reichischen Raum als Meistersinger in hohem Ansehen. Der berühmte Welser Meistersinger Peter Freudenlech- ner widmete ihm sogar am 21. Juni 1600 ein Meister- lied. Im Zeitraum von 14 Jahren führte Lindtwurm sie- ben "Singschulen", d. s. festliche Gesangsveranstaltun- gen im Rathaus, auf. Lindtwurm geißelte in seinen Wer- ken die Schwächen seiner Zeitgenossen, sodaß im Jahre 1612 vom Rat der Stadt Hans Mischer mit der Aufsicht über die Lindtwurmschen Singschulen beauftragt wurde. Im Liede "Das gerechte Urteil" vom 20. Jänner 1616 besingt Lindtwurm einen Steyrer Apotheker, dem das Roß eines Grazer Kaufmannes eine zum Auskühlen in den Hof gestellte Arznei austrank. Inder Gegenreformation- nach dem 8. Mai 1627 - mußte Lindtwurm als Protestant die Stadt verlassen. Er fand in Kolmar im Elsaß seine neue Heimat. Er starb dort um 1651. Seine Verlassenschaftsabhandlung in Steyr wurde erst 1687 abgeschlossen! Das !laus Pfarrgasse Nr. 7 ging um 1627 um dreihundertachtzig Gulden an den Tischler Andreas Klein und nach dessen Ausweisung aus der Stadt an den Maurer IIans Tanner (um 1620) w1d Gregor Lerpaumer (um 1G69) über. In der Ilausbeschreibung um 1669 wird das Haus "aufrecht und bewohnt" bezeichnet. Ab 1675 sind auf dem Hause ausschließlich Rauch- fangkehrer angeschrieben - bis 1779 Dominicus Guizzi und seinSohnDominicus Antonius. Diesen Besitzern war auch die Krämerei mit Kurzwaren auf dem Wochenmarkt ge- stattet worden. Durch Heirat mit Maria Anna Guizzi kam das Haus 1749 an Franz Simoni, durch Kauf 1754 an Johann Anton Haider und 1803 an dessen Sohn Franz Haider. 1813 ehe- lichte Franz Haider die Tochter Theresia des Lebzelters Adam Haller, die ihn überlebte und 1822 den Rauchfang- kehrer Josef Reif ehelichte und ihm das Haus Pfarrgasse Nr. 7 in die Ehe mitbrachte. TheresiaReifüberlebte auch ihren zweiten Gatten und wurde 1839 alleinige Besitze- rin des Hauses. Am 20. August 1839 kaufte der Rauch- fangkehrer Ludwig Werner um achttausend Gulden Kon- ventionsmünze das Areal. Auf ihn folgten Wolfeang Rainer (ab 1846), dann die Witwe Josefa Rainer (1859), die 1863 Franz Schachinger heiratete. Dr. Volker Lutz Quellen und Literatur: Valentin Preuenhueber, Annales. - Steuerbücher 1543, 1567, 1583, 1620, 1635, 1694 und 1735. - Ratsprotokol- le 1599, 1601, 161E;, 1623, 1655, 1675, 1715 und 17 50. - Stadtpfarramt, Evangelische Matriken. - Inge Krenn, Häuserchronik. - Dehio, Oberösterreich. - Josef Ofner, Nikolaus Lindtwurm, VKST 15/1955. - Moriz Enzinger, LiteraturgeschichteSteyrs. - Josef Ofner, Zur Geschichte des Meistergesanges in Steyr, OÖ. Heimatblätter 2/ 1948. - Ilse Neumann, Steyr und die Glaubenskämpfe, 1952.

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