Amtsblatt der Stadt Steyr 1972/3

4 AMTSBLATT DER STADT STEYR Schöne Bauten unserer Stadt EIN ALTES HANDELSHAUS Stadtplatz Nr. 19 "Sonderlich aber sind erst in den nächst verflosse- nen 200 Jahren, die meisten Häuser an der untern Zeill in der Stadt neben der Ennß, (welche mit den Stuben damahls nur in der Nieder gebaut, und zum Teil mit Stroh gedeckt waren) ••• in jetzigen Stand erhebt wor- den" vermerkt V. Preuenhueber in seinen um 1630 ver- faßten Stadtannalen. Demnach wurde erst zu Anfang des 15. Jahrhundert mit dem Ausbau der ennsseitigen, ebenerdigen Gebäude begonnen. Einige haben bis heute ihr spätgotisches Antlitz bewahrt, vor allem die Häu- ser Stadtplatz Nr. 15, 17, 19, 21, 23, die in ihrer Ge- schlossenheit den Beschauer entzücken. R. Anheißer nennt diese gotischen Bürgerbauten Steyrs in seinem Werk "Das mittelalterliche Wohnhaus in deutschstäm- migen Landen" "lustige Häuser, die ihre hohen Dächer wie lange Mützen bis an die Augen gezogen haben, wo die Fassade als gemütliches Gesicht mit Runzeln und Falten hervorlugt und an längst entschwundene.so viel herzvollere Zeiten gemahnt, als unsere aufwendige laute Gegenwart". Und G. Goldbacher meint: "Da Hof, der is bsunders: von Säuln umadum ,Und 's Dach is so gach, Daß d' moanst, ös fallt um". Zwei etwas kleinere, aber nicht minder eindrucks- volle Gebäude flankieren das alte, mit dem ersten Stockwerk vorkragende Handelshaus auf dem Stadt- platz. Ein hübsches gotisches Steinportal mit profilier- tem Gewände und stumpfem Spitzbogen führt in das Innere des Hauses, in dem sich massive gotische Tür- gewände und nach dem Dehio im zweiten Stock eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Stuckrippen-Halle und Schmiedeeisengeländer befinden. 44 Bei der kürzlich erfolgten Restaurierung der mit Stabwerk-Fensterrahmen versehenen Fassade kam eine in der Zeit der Renaissance (1592) angebrachte Sgraffito- Verzierung zum Vorschein, die neben geometrischen Motiven auch das Einhorn zeigt. Dieses orientalisch-an- tike Fabeltier, das die Stadt Perg in ihrem ·w appen führt, ist auc-.h in vielen Familienwappen des Mittelalters zu finde n. Eine gleiche, aber etwas größere Einhorn-Dar- stellung zeigt das Haus Enge Nr. 11. Vor der Renovie- rung lugte aus dem Verputz des ehemaligen Hofkasmer- hauses in Garsten ebenfalls das Einhorn hervor. Das Einhorn soll mit dem Körper und Kopf eines Pferdes, mit den Hinterbeinen einer Antilope, mit ' Lö- wenschwanz, Ziegenbart und Horn ausgestattet gewe- sen sein. In Steyr wird die ornamental gestaltete Ein- hornfigur mit lindwurmförmigem Körper ohne Hinter- beine dargestellt. Schon im , Mittelalter wurde die Existenz dieses Tieres von den Gelehrten bezweifelt. Der Wittenber- ger Professor Kaspar Kirchmayr jedoch schrieb in einer zoologischen Abhandlung: "Überall in der ganzen Welt wird allgemein behauptet, daß das Einhorn unterge- ga ngen und zur Zeit der Sintflut ausgestorben und daß kein ei nziges Exemplar des Monoceros am Leben ge- blieben sei. Wir werden diese Ungerechtigkeit gutma- chen und mit Gottes llilfe ein Mittel finden,dieser all- umfassenden Blasphemie ein Ende zu bereiten". Das Einhorn, Symbol der Reinheit und Stärke, soll die Fähigkeit besessen haben, Wasser aufzuspüren. Im Arzneibuch der Äbtissin Hildegard von Bingen findet sich folgendes Rezept: "Eidotter mit pulverisierter Ein- hornleber ergeben eine Salbe, die mit Sicherheit allen Aussätzigen Linderung bringt". WertvolleEigenschaften wurden dem Horn des Tieres zugeschrieben: Reinigung des Quellwassers und Schutz vor Vergiftung und Pest. Lennertus, 1630 Professor der Medizin an der Univer- sität Wittenberg, behauptete: "Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß diesen Hörnern große Kraft innewohnt - besonders bei der Bekämpfung der Fallsucht, des bös- artigen Fiebers, der Pest, Darmbeschwerden bei Kin- dern und anderen Krankheiten". Es ist daher begreiflich, daß früher manche Kauf- leute, die sich mit dem Fernhandel befaßten und auf ihren Geschäftsreisen von allerlei Gefahren bedroht wa- ren, an die geheimnisvollen Kräfte des Einhorns glaub- ten und dasselbe an der Schauseite ihrer Häuser anbrin- gen ließen. Auch der Stadtrichter Hans Stampfhofer, der nach dem 1543 erwähnten Jörg Weigl das Haus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts besaß, sandte seine Waren ins Ausland. Vor allem lieferte er Messer nach Venedig, wo er jedenfalls im Fondaco dei Tedeschi (Kaufhaus der Deutschen) bei der Rialtobrücke, in dem der Verfasser dieses Aufsatzes im vergangenen Sommer das Wappen der Stadt Steyr noch feststellen konnte, ein Verkaufsbureau ("Kammer") gemietet hatte. In den folgenden Jahrhunderten zählten zu den Be- sitzern des Hauses, zu dem bis 1870 die Eisen-,Ge- schmeid- und Nagelhandlungsgerechtsame gehörte, die Familien Taxhamer (1613 - 1652), Schüchl (1669 - 1689), Schußböck (1716 - 1723), Pichler (1725-1788), Zeller (1788 - 1851), Bauer (1851 - 1856), Gottwald

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