Amtsblatt der Stadt Steyr 1971/2

1971 AMTSBLATT DER STADT STEYR 5 Entwicklung unserer Gemeinde aus. Erst Gegenüberstel- lungen lassen ungefähr eine Relation der finanziellen Ent- wicklung der Stadt erkennen. Ich habe hier aus statisti - schem Material die Gegenüberstellung, und zwar gipfelt diese darin, daß das Bruttonationalprodukt in der Zeit , von 1955 bis heute ungefähr um 300 o/o gestiegen ist, während die Haushaltsrechnung unserer Gemeinde im or- dentlichen Haushalt ebenso wie im außerordentlichen Haushalt nur eine ca. 60 o/aige Steigerung im selben Zeit- raum erfahren hat. Ich will diese Ziffer nicht analysie- ren und es gäbe noch eine Reihe von Gesichtspw1kten, die man bei jeder Gegenüberstellung beachten müßte. Aber grundsätzlich will ich diese Gegenüberstellung aus dem Grund gemacht haben, um zu dokumentieren, daß dieselbe nicht nur für die Gemeinde Steyr zutrifft, son- dern sie würde auch - das wissen wir aus statistischen Jahrbüchern usw. - auf fast alle oder zumindest die Durchschnittsgemeinden anwendbar sein. Dieses Problem wird besonders beim Investitions- aufwand anschaulich. Der Investitionsaufwand der Ge- meinde in Relation gebracht zu anderen Investitionsauf- wänden, zeigt ein fast Gleichbleiben unserer Investi- tionen, das heißt, wir sind mit den uns zur Verfügw1g gestellten Mitteln - Abgaben und Steuern - nicht in der Lage, den so notwendigen Investitionsnachholbedarf und gegenwärtigen Bedarf zu steigern. Aber im Hinblick auf die Wertigkeit verschiedener Ausgabengruppen soll auf die voraussichtliche Entwicklung der kommunalen Proble- me in der Zukw1ft hingewiesen werden. Ich möchte auch noch einig~ Feststellungen treffen. Das Aufgabengebiet der Gemeinde besteht aus einer Reihe von verpflichtenden Aufgaben, die vorwiegend w1ter dem Sammelbegriff Hoheitsaufgaben zusammengefaßt sind und einem Teil von freiwilligen Leistungen. Diese frei- willigen Leistungen nehmen immer mehr zu. Das ist ei- ne Tatsache und gerade in dem Zeitabschnitt, in dem wir leben, in unserer Funktionsausübung, erleben wir, daß die freiwilligen Leistungen in ständig steigendem Maße von der Bevölkerung in Anspruch genommen wer- den und damit schon zu "Pflichtausgaben" gestempelt werden, deren Erfüllung von der Gemeinde mit beson- derem Nachdruck gefordert wird. Wenn wir heute einen Katalog dieser beiden Auf- gabenbereiche zu erstellen hätten, so würden möglicher- weise Sie selbst, verehrte Damen und Herren des Ge- meinderates, den überwiegenden Teil der freiwilligen Leistw1gen einer Gemeinde vielleicht fälschlich unter die Gruppe "Pflichtausgaben" einreihen! Diese Feststel- lung; die wir natürlich bei unserer gesamten Arbeit nicht übersehen dürfen und an der wir unsere Arbeit orientie- ren müssen, soll gerade bei der Debatte und J:leschlul~- fassung über unseren Haushaltsvoranschlag nicht überse- hen werden. Ein weiteres Symptom der Öffentlichkeits- arbeit ist es, daß dem zunehmenden Verlangennach Konsuhl öffentlicher Leistungen ein eklatantes Unteran- bot auf diesem Sektor gegenübersteht, während am pri- vaten Gütermarkt auf fast allen Gebieten ein großer Überfluß herrscht. Die Ursache liegt darin, daß die Pro- duktion w1d der Markt des persönlichen Konsums besser funktionieren. Der Unterschied besteht meiner Meinw1g nach vor allem darin - ich möchte nicht mißverstanden werden - daß man in dem einen Fall, im persönlichen Konsum, jederzeit bereit ist, den wahren Preis für die Ware und für diesen Konsum zu bezahlen, während man für den Konswn von Wohnungen, von Bildung, für die Benützung von Verkehrsanlagen und sonstigen Dienst- leistungen diese Bereitschaft nicht aufbringt, sondern diese Leistungen gratis beziehen will. Das sei keine Kritik, sondern eine Feststellung, mit der wir uns ständig in unserer Arbeit auseinander- setzen müssen. Bei der Bereitstellung dieser steigenden öffentli- chen Dienstleistungen ist auch auf das unterschiedliche Volkseinkommen Bedacht zu nehmen. Ich will diesen Satz nur damit w1termauern, daß mit steigendem Volks - einkommen die Anforderungen durch die Vermehrw1g des persönlichen Konsums, z. B. zunehmende Motori- sierung, auch erhöhte Forderungen an die Öffentlichkeit bedingen. Ich berühre hier ein momentan aktuelles, heftig diskutiertes Thema der Festsetzung von Preisen für freiwillige Leistungen, die Bürgern oder Gruppen von Bürgern zur VerfügW1g gestellt werden. Ich will gleich- zeitig vorweg sagen, daß es viele Standpunkte in der Beurteilung dieser Frage geben ka1m. Ich will sie am besten durch zwei extreme Anschauungen grundsätzlich beleuchten. Ich komme auf die vor kurzem beschlossenen Kin- dergartentarife zu sprechen. Man könnte einen wahren Preis für diese Leistungen in Rechnung stellen und im Extrem dazu auch auf dem Standpunkt stehen, daß hier der gesamte Aufwand aus öffentlichen Mitteln zu zahlen ist. Man könnte die Funktion des Kindergartens nicht nur als eine soziale Aufgabe mit gestaffeltem Tarif, son- dern auch als eine vorschulpflichtige und daher kosten - lose Leistung ansehen. Für den zweiten Fall müßte al- lerdings dann im Rahmen eines allfälligen Finanzaus- gleiches ein anderer Kostenträger oder die Zurverfü- gungstellung von Steuergeldern an die Gemeinde er- folgen. Gegenwärtig manövrieren wir ungefähr zwischen den beiden Standpunkten, wobei wir mit unseren zu- letzt gefaßten Beschlüssen versuchten, den sozial schwä - cheren Schichten der Bevölkerung, gestaffelt bis zum Einkommen von monatlich S 8. 000, - bis S 9. 000, - , eine Subventionierung zuteil werden zu lassen. Darü- berhinaus waren wir im Gemeinderat überwiegend der Meinung, sollte doch der wahre Preis für diese freiwil - ligen Leistungen bezahlt werden. Möge dieses Beispiel für diverse andere Leistun- gen der Gemeinde auf den Sektoren Sport, Kultur, Ver- kehr, Wohlfahrt, gelten. Einen großen Raum in der Diskussion um das Fi- nanzwesen w1serer Stadt nimmt auch das Problem der Verschuldung W1Serer Gemeindefinanzen ein. Es ist w1 - möglich, die berechtigten Forderungen der verschiede- nen Bevölkerungskreise mit ordentlichen Haushaltsmit - teln abzudecken. Wie weit die Inanspruchnahme von rremdkapital im Gemeindehaushalt überhaupt möglich ist, darüber gibt es neben der eigenen, subjektiven Be- urteilw1g verschiedene Fachmeinungen, die - wenn sie auch von verschiedenen Beurteilungsstandpunkten aus- gehen - aber doch in vereinfachter Form dargestellt aussagen, daß die Verschuldungsgrenze einer Stadt dann erreicht ist, wenn 10 o/o der allgemeinen Deckungsmit - tel zum Schuldendienst herangezogen werden müssen. Auf unsere Situation in der Gemeinde bezogen, be- ~~t ~~ ~ß ~~ d~ ~~~~~e ~ Fremdkapital mit rund 38 Mill. Schilling einen Ka- pitaldienst von S 4, 5 Mill. beansprucht; das sind w1- gefähr 2, 5 o/o des Haushaltes. Ich sagte ungefähr 10 o/o. Das ist eine Norm, die von den Aufsichtsbehörden als die Grenze der Verschuldung der Stadt angesehen wird. Wir sind hier relativ weit von dieser Grenze entfernt. 17

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