Amtsblatt der Stadt Steyr 1970/3

1970 AMTSBLATT DER STADT STEYR 3 Josef Werndl und das Realschulgebäude Aus einer Sitzung des Gemeinderates vor hundert Jahren D er mit einer festlichen Spatenstichfeier am 26. Jänner gegebene Auftakt zum Bau des Knaben- Gymnasiums im Werndlpark bringt eine Sitzung des Steyrer Gemeinderates in Erinnerung, in der der Ankauf de s heutigen Schulhauses (Michaelerplatz Nr. 6) be- schlossen wurde. Bereits im Jahre 1862 hatte die Stadtgemeinde zur Unterbringung der "unselbständigen zweiklassigen Unter- realschule" w1d der Kreishauptschule das dem k. k. Stu- dienfonds gehörige, vom Jesuitenorden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhw1derts erbaute Gebäude gepachtet. Die Schulgesetze der Jahre 1869 und 1870 sowie der an- gestrebte Ausbau der Unterrealschule erforderten eine Vermehrung der Schulräwne. Bürgermeister Josef Pöltl ersuchte daher schon am 5. Juli 1869 das Unterrichts- ministerium, der Stadtgemeinde für Schulzwecke das Ex- jesuitengebäude käuflich zu überlassen. Pöltl fand die volle Unterstützung des Gemeinderates, besonders Josef Werndl setzte sich in der Gemeinderatssitzung vom 27. Februar 187 0 für die Erwerbung des ehemaligen Jesuiten- Kollegiums ein. "Bei dem Ankaufe des Exjesuitenge- bäudes von Seite der Stadtgemeinde", so führte der Ge- neraldirektor aus, "muß in einer Beziehung das bisheri- ge Einkommen des Ärars aus dieser Realität und in an- derer Beziehung die Gemeindekasse in Erwägung gezo- gen werden. · Das Ärar bezieht gegenwärtig einen Pachtschilling von 600 Gulden, was einem Kapitale von 12. 000 Gul - den gleichkommt, w1d es läßt sich nicht annehmen, daß das Ärar das Einkommen aus dieser Realität jemals er- höhen könnte. Die Regierung könnte uns daher dieses Gebäude wn das Äquivalent des Nutzungswertes, nämlich wn die Swnme von 12.000 Gulden überlassen, ohne daß sie an ihren Einnahmen eine Einbuße erleidet. Die Gemeinde Steyr hat kein Vermögen und ver- mehrt mit dem Ankaufe dieses Gebäudes ihre Lasten, denn da dieses Gebäude lediglich für Schulzwecke be- stimmt ist und verwendet werden wird, so ist aus diesem Gebäude eine Revenue für die Gemeinde niemals zu hof- fen; abgesehen hievon werden die Reparaturen große Summen verschlingen. Ich habe mir dieses Gebäude selbst angesehen und ich mache die Herren darauf auf- merksam, daß, wenn wir die Schulen der Stadt dort un- terbringen, wir uns auf Auslagen von 15 bis 20. 000 Gul- den für die zweckentsprechenden Herstellungen gefaßt machen miissen. Wir kaufen an diesem Gebäude eigent- lich nur den Platz und die Hauptmauern, alles andere bedarf durchgreifender Reparaturen. Da es aber in ganz Steyr keinen passenden Platz gibt, wo wir unsere Schulen nach dem Geiste der Zeit und des Fortschrittes w1terbringen können, so stellt sich für uns die zwingende Notwendigkeit heraus, diese Op- fer zu bringen. Ich mache Sie aufmerksam, meine Her- ren, was wollen Sie aus dem Schulhause in Ennsdorf oder aus dem Schulhause in Aichet machen, es ist alles zu enge angelegt, und selbst, wenn wir w1s entschließen wollten, dort Reparatursbauten vorzunehmen, wir wer- den doch nie anständige Schulhäuser bekommen, und das Geld ist hinausgeworfen.• Das Exjesuitengebäude hat die entsprechende Größe und wenn wir die notwendige Sum- me aufwenden, so haben wir ein schönes Schulgebäude, wo wir auch die in Steyr so notwendige Bürgerschule un- terbringen können. Zu Opfern müssen wir uns in allen Fällen entschließen und sorgen, daß wir uns das Geld hiezu verschaffen. Ich meine, es dürfte angemessen sein, wenn wir der Regierung für dieses Gebäude 15. 000 Gul- den anbieten. Die Regierung gewinnt hiebei, weil die- ses Kapital ein größeres Zinsenerträgnis abwirft, als aus dem Besitze der Realität zu erzielen ist und wir müssen uns zu diesem Preise entschließen, weil die Regierw1g diese Realität ohne Gewinn höchstwahrscheinlich nicht weggeben wird und weil wir durch diesen Ankauf allein in die Lage kommen, unser Schulwesen durchgreifend zu reformieren. Es wird Sache des Herrn Bürgermeisters sein, we- gen Aufbringung der zu den Reparaturen nötigen Geld- mittel seinerzeit entsprechende Vorsorge zu treffen w1d uns die geeigneten Anträge zu machen; den Ankaufs- preis aber glaube ich, sollen wir bei der hiesigen Spar - kasse verschaffen und unsere Realitäten verpfänden. Ich stelle daher folgende Anträge: 1. Es sei der Regierung für das Exjesuitengebäude ein Anbot von 15. 000 Gulden zu machen. 2. Es seien der Regit:rung mit der Annahme dieses An- botes sogleich 5.000 Gulden bar zu bezahlen w1d mit der Besitzanschreibung der Gemeinde seien dann die restlichen 10.000 Gulden dem Ärar auszuzahlen. 3. Es sei dieser Kaufschilling durch eine Kreditoperation bei unserer Sparkasse aufzubringen und es sei sich deshalb an dieselbe zu wenden". Der Antrag wurde von den Gemeinderäten (K. Edel- bacher, F. Gründler, J. Haller, K. Holderer, L. Huber, Dr. J. Hochhauser, J. Landsiedl, Th. Mooshammer, J. Re der, J. Reich!, F. Schachinger, J. Theißig, F. Werndl, F. Wickhoff) einstimmig angenommen. Die k. k. Statthalterei verlangte aber für das Gebäude 20. 000 Gulden. Am 7. April wurde "im Interesse des Schulwesens" vom Gemeinderat auch dieser Preis ak- zeptiert w1d am 25. November der Kaufvertrag wner- zeichnet. Aber schon im nächsten Jahre erkannte man, daß nach Erweiterw1g der Realschule im Exjesuitengebäude für die Bürgerschule keine Räwne vorhanden sein wür- den. Die Stadtgemeinde erbaute daher in den Jahren 1872 bis 1875 auf dem an die Promenade grenzenden Hallerfelde ein für die damaligen Verhältnisse moder- nes und sehr geräwniges Schulgebäude für zwei Bürger- schulen und eine Volksschule. Dr. Josef Ofner (Stadtarchiv Steyr: Ratsprotokolle 187 0 - 187 3, Hs. Nr. 362 - G. Goldbacher, Entwicklungsgeschichte der k. k. Staatsoberrealschule in Steyr, 1913 - J. Kautsch, Aus den Aufzeichnungen eines Steyrer Bürgers, 1918 - A. Bloderer, Das Ringen wn die Steyrer Mittelschule nach Auflösung des Jesuitengymnasiums und ihre Ent- faltung von der Unterrealschule zum Realgymnasium, 1949 - K. Schneider, Von der selbständigen Unterreal- schule zur allgemeinbildenden Höheren Schule, 1963) 39

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