Amtsblatt der Stadt Steyr 1965/1

AMTSBLATT DER STADT STEYR 1 / 1/1965 STEYRER WEIHNACHT 1800 E ine Inschrift an dem Hause Enge Gasse Nr. 1 (Apotheke zum "Goldenen Löwen") erinnert an die aufregenden Kriegsereignisse in den Weih- nachtstagen des Jahres 1800, die die Bewohner der Ei- senstadt in Angst und Schrecken versetzten und den Ver- fall des städtischen Wirtschaftslebens auf lange Zeit anbahnten. Der 1792 von Österreich und Preußen gegen die Feinde des französischen Königs Ludwig XVI. (1774 - 1793) geführte Krieg , dem 1793 auch andere euro- päische Staaten bei traten ( 1. Koalitionskrieg), brach- te für Steyr noch keine Invasion fremder Truppen, ob- gleich Napoleon bis Leoben vorzudringen vermochte. Doch die Fre ude übe r den Frieden von Campo Formio (bei Udine ) , der am l 7. Oktober 1797 diesen Krieg beendete, war von kurzer Dauer. Schon nach zwei Jahren, im 2. Koa litionskrieg ( 1799 - 1802), hiel- ten Ende Dezember 1799 Einheiten des französischen Emigrantenkorps und ein Jahr später die Soldaten d •s Korsen ihren Einz ug in Steyr. Nach der Niederlage bei Hohenlinden in Bayern am 3, Dezember 1800 mußten sich die österreichi- schen Truppen unter Erzherzog Johann über Salzburg nach Oberös terreich zurückziehen. Das Nachrüc keu der französischen Rheinarmee unter dem Obergeneral Jean Moreau konnte auch Erzherzog Karl, dem am 17. Dezember der Oberbefehl iiber das in Auflösung be- griffene kaiserliche Heer übertragen worden war, nicht ,llln1alten, sodaß er sich gezwungen sah, für den ehe- sten Abschluß eines Friedens einzutreten. Nach Rück- zugsgefechten an der Traun und bei Kremsmünster wurde, um Weisungen aus Wien einholen zu können, mit Moreau eine Waffenruhe von 48 Stundenverein- bart, doch forderte der General die kampflose Über- lassung des Gebie tes bis zur Enns. Durch diese Be- dingung wurde Steyr das Hauptziel der retiriercnucn österreichischen und der nachziehenden französischen Truppen. Die Hauptmasse der österreichischen Armee pas- sierte unsere Stadt am 20, und 21. De~e111ber, Uu- aufhörlich, bei Tag und Nacht, rollten in diesen Ta- gen Bagagewagen und Geschütze, zogen Fußtruppen m:d berittene Einheiten über die untere Ennsbrücke. Am rechten Ennsufer reihte sich Lager an Lager bis ge- gen Dorf a. d . Enns . Gespenstisch erhellten die Näch- te die Wachfeuer a uf den östlichen Höhen des Stadt- gebietes. Noch in den Vormittagsstunden des 21. De- zember ritten die Erzherzoge Karl und Johann an der Spitze des Generalstabes, aus westlicher Richtung durch den Stadtteil Voglsang kommend , über die Ennsbrücke nach Niederösterreich. Eine völlig andere Situat ion herrschte bereits in den Abendstunden dieses Tages . Die französische Avant- garde unter General Richepanse, die sich in Aichet gesammelt hatte, besetzte Steyrdorf und um 10 Uhr nachts die innere Stadt. Am 22., 23., - und 24. De - zember folgten weitere Truppenkörper sowie die Ge - neräle Durutte, Drouet, Decaen, Desolle, Lecourbe, Granjeau, Montrichard und Clemence. Bereits am 22 . Dezember befanden sich in Steyr 4 Generäle, 5 Bri- gadechefs, 6 Bataillonchefs, 59 Oberoffiziere, 76 Sergeanten, 9383 Carabiniers, Grenadiere und Fü- siliere, 320 Chasseure, 467 Dragoner, 370 Husaren und 1212 Pferde. Da nach dem Durchmarsch der Österreicher die beiden Ennsbrücken zum Teil demoliert worden wa- ren, mußten sie die städtischen Zimmerleute unter Aufsicht der Franzosen in aller Eile behelfsmäßig in- standsetzen, wozu man auch Fußbodenbretter der Stadtpfarr- und Dominikanerkirche verwende te . Wie Erzherzog Karl, so wünschte auch Kaiser Franz II. den Frieden. Noch in der Weihnachtswoche wurde daher mit den Franzosen in Steyr ein Waffen- stillstand vereinbart, der zwar die Räumung weiter Gebiete Österreichs zur Folge hatte, aber schließlich doch zum Frieden von Lurntville (westlich von Straß- burg) führte. Der Ste yrer Chronist Ignaz Schroff ( 1774 - 1851), damals Rechtspraktikant in der Magistratskanz- lei, berichtet in seinen Annalen über diese für Öster - reich und Steyr bedeutsamen ersten Tage der -Inva- sion: "Der Derflmayer Bräuer, der früher Fischhändler war, mußte, bevor die Brücken hergestellt worden.die österreichischen General-Adjutanten des Erzherzog Carl, vom Generalstab, Grüne und Weirotter (Generalmajor Graf Grünne, Oberst Weyrotter) über die Enns führen, wo selbe im Göpl-Apothekerhaus (Enge Gasse Nr. 1) im Quartier des Doktor medicinae Hofmann (Dr. Ig- naz Hofmann, seit 1788 Physikus in Steyr) mit dem Generaladjutanten c.les Moreau, Lahorie (Victor Fanneau Lahorie), den Waffenstillstand zu unterhandeln an- fingen und den 25. Dezember sonach im Schloß ab- schlossen. Offiziere, die beständig bald um dieses , bald um jenes zu uns auf das Rathaus kamen, erzähl- ten uns den 2G. dies Ereignis aud1 miL vieler Freu- de. Erst am Samstag, den 27. Dezember, kamum 1/2 1 Uhr nachmittag der Obergeneral Moreau mit mehre- ren Generalen und Stabsoffizieren geritten hier im Schloß an, wo selber sogleich eine Proklamation an sei- ne Armee (erließ) , welche noch denselben Abend be im hiesigen Buchdrucker Medter gedruckt werden mußte . Kein Mensch arbeitete, viele flüchteten sich von (ihren) Häusern, um den Qualen zu entgehen, hinaus in die entfernten Bauernhäuser, und ließen ihre Häu- ser leer stehen , was freilich für viele noch schlimmer war, denn nun wurde das Haus und Wohnung zu oberst und unterst gekehrt . Schlechte Leute gibt es überall; die verrieten den Franzosen, wo mehr Wohlstand im

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